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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Brustpanzern. Sie würden ihn töten. Oder zumindest gefangennehmen. Er blickte hastig um sich. Er konnte nicht fliehen. Hinter ihm lag der Fluß. Bevor er die Strömung erreichte, hätten sie ihn längst erwischt. Segovax blickte nach unten. Das Schwert seines Vaters lag neben ihm. Er hob es auf und stellte sich dem Zenturio, der nun auf ihn zukam. Das Schwert war schwer, doch er hielt es fest. Der Zenturio gab ihm zu verstehen, die Waffe niederzulegen. Segovax schüttelte den Kopf. Nun war der Zenturio schon ganz nah. Ruhig zog er sein eigenes, kurzes Schwert und schlug damit zu. Es gab ein metallisches Klirren, und zu Segovax' großer Verblüffung fiel das Schwert seines Vaters zu Boden, und seine Hand fühlte sich an, als sei sie verrenkt worden. Der Zenturio ging einen weiteren Schritt auf ihn zu.
    Er wird mich töten, dachte der Junge. Ich werde also doch noch an der Seite meines Vaters im Kampf sterben. Er versuchte ein weiteres Mal, das Schwert in die Hand zu nehmen. Doch zu seinem Entsetzen konnte er es kaum hochheben. Sein Handgelenk schmerzte derart, daß er beide Hände dazu brauchte. Er versuchte, noch einmal so heftig wie möglich zuzuschlagen, doch er traf nichts. Dann hörte er ein Lachen.
    Er hatte sich auf den Zenturio konzentriert und gar nicht bemerkt, daß sich ein halbes Dutzend Reiter genähert hatten, die nun neugierig auf die kleine Szene herabstarrten. In ihrer Mitte befand sich eine große Gestalt mit einem kahlen Kopf und einem harten, intelligenten Gesicht. Dieser Mann hatte gelacht. Er sagte etwas zu dem Zenturio, und dann fielen alle in das Lachen ein.
    Segovax wurde rot. Der Mann hatte etwas in lateinischer Sprache gesagt – wahrscheinlich einen grausamen Scherz. Mit allergrößter Mühe schwang er das Schwert seines Vaters abermals. Zu seiner Verwunderung steckte der Zenturio sein Schwert wieder in die Scheide zurück. Die Römer zogen ab.
    Segovax wäre in der Tat sehr überrascht gewesen, wenn er die Worte verstanden hätte, die Julius Cäsar eben geäußert hatte. »Da haben wir aber einen tapferen jungen Kelten! Er will noch immer nicht aufgeben. Laß ihn lieber in Ruhe, Zenturio, sonst tötet er uns noch alle!«
    Auf dem Hemd seines Vaters entdeckte Segovax die Brosche, die Cassivelaunus ihm gegeben hatte. Ehrfürchtig nahm er sie zusammen mit dem Schwert an sich und machte sich nach einem letzten Blick auf das Gesicht seines Vaters auf den Weg.
    In den darauffolgenden Monaten setzte Cäsar die Eroberung Britanniens nicht fort, doch die britischen Häuptlinge mußten ihm hohe Tributzahlungen leisten und Geiseln abliefern. Cäsar triumphierte. Im Herbst jedoch mußten er und seine Legionen nach Gallien zurückkehren, wo sich Unruhen zusammenbrauten. Wahrscheinlich hatte Cäsar erkannt, daß er bei seinen Eroberungen zu rasch vorgegangen war, und deshalb beschlossen, erst einmal seine Herrschaft in Gallien zu festigen, um die Insel zu einem späteren Zeitpunkt zu nehmen.
    In der Zwischenzeit kehrte das Leben auf der Insel fast wieder zu seinem Normalzustand zurück. Im nächsten Frühling und auch im Sommer kamen keine Römer, bis auf ein einziges Mal. An einem Sommertag sahen die Bewohner des Weilers ein Schiff den Fluß heraufkommen. Es war ein gedrungenes Segelschiff, etwa achtzig Fuß lang, mit einem hohen Heck, einem niedrigen Bug und einem Mast in der Mitte, an dem ein großes, rechteckiges Leinwandsegel gehißt war. An einem kleineren Mast wehte zusätzlich ein kleines dreieckiges Segel. Die Seiten des Bootes bestanden aus Brettern, die mit Eisennägeln an den Rippen befestigt waren. Gelenkt wurde es mit zwei Rudern, die an beiden Seiten des Hecks plaziert waren. Es war ein typisches Handelsschiff der griechischrömischen Welt. Die dunkelhäutigen Matrosen und der Besitzer des Schiffes, ein reicher Römer, waren aus Neugier den Fluß hinaufgesegelt.
    Sie ruderten beim Weiler ans Ufer und näherten sich höflich den Bewohnern. Sie wollten gern einmal den Ort sehen, an dem die Schlacht stattgefunden hatte. Nach einigem Zögern willigten zwei Männer ein, ihnen die Furt und die Insel des Druiden zu zeigen. Nachdem sie alles besichtigt hatten, fanden sie nichts weiter von Interesse in Londinos und segelten bei Ebbe wieder davon, nachdem sie die Bewohner des Weilers mit einer Silbermünze für ihre Mühen entschädigt hatten.
    Es war ein Besuch, der keinerlei historische Bedeutung hatte, doch für den jungen Segovax bedeutete er viel. Fasziniert betrachtete er das ungewöhnliche

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