London
Obwohl Ducket ziemlichen Respekt vor dem jungen Juristen hatte, zögerte er an diesem Tag nicht, ihn anzusprechen. Silversleeves war genau die Sorte von gebildeten Menschen, mit denen sich sein Meister so gern unterhielt. Also lud er Silversleeves ein, sich zu Fleming an das Feuer zu setzen.
Mit einem Becher Glühwein in der Hand ging der junge Jurist hinüber zu dem Gemischtwarenhändler, und bald waren die beiden in ein angeregtes Gespräch vertieft. Ducket beobachtete immer wieder einen Ausdruck von Entzücken auf dem schmalen Gesicht seines Meisters, woraus er schloß, daß Fleming zumindest an diesem Abend einen Mann nach seinem Geschmack getroffen hatte.
Ducket wußte nicht, wie spät es war, als ihn ein Geräusch weckte. Es war nicht viel; offenbar wurde nur leise eine Tür aufgestoßen, eine Tür, die nicht geöffnet werden sollte. Rasch sprang er auf, eilte in den Hof und schlich leise zum Lager. Die Tür stand offen, von innen drang Licht auf den Hof. Er pirschte sich näher heran, bis er schließlich vorsichtig hineinschielte und Fleming erblickte.
Er hatte mit seinem Meister nicht mehr gesprochen, nachdem Silversleeves sich verabschiedet hatte. Er hatte ihn jedoch noch mit ein paar anderen Leuten sprechen sehen, und dabei hatte Fleming richtig munter gewirkt. Aber nun war er offenbar in einer Art Trancezustand, denn er starrte direkt auf Ducket, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Auf einem der Säcke stand eine Laterne. In Flemings hohlen Händen lagen wertvolle Pfefferkörner. Schließlich wurde er sich Duckets gewahr und starrte ihn ekstatisch an.
»Weißt du, was das ist?« fragte er und streckte ihm seine Hände entgegen.
»Pfefferkörner«, erwiderte sein verdutzter Lehrling. »Unsere kostbarste Ware.«
Fleming nickte, dann ließ er die Körner plötzlich auf den Boden fallen. Ducket war entsetzt, doch Fleming lächelte nur. »Wertlos«, sagte er. »Völlig wertlos!« Als Ducket sich anschickte, die Körner wieder aufzuklauben, packte Fleming ihn am Arm. »Was wären denn die Pfefferkörner, wenn jemand das Geheimnis des Universums entdecken würde?« Ducket mußte zugeben, daß er es nicht wußte. »Aber ich weiß es«, sagte Fleming leise. Dann fragte er: »Ist meine Frau nicht eine gute Frau? Und ist dies hier nicht ein guter Ort?« Damit deutete er auf die Domäne seiner Frau. »Das ist es doch in der Tat«, sagte er. »Und es gehört alles ihr.« Er stieß ein merkwürdiges, heiseres Lachen aus. Plötzlich starrte er wild auf den Jungen. »Bald, Ducket, wirst du Wunder erleben.« Und dann starrte er wieder mit einem derart leeren Gesichtsausdruck in den Raum, daß Ducket es nicht wagte, ihn zu stören, und sich zurück in sein Bett schlich.
Am nächsten Morgen schien sein Meister wieder ganz normal zu sein, und Ducket erwähnte den Vorfall keinem gegenüber. Aber er fragte sich, was das wohl bedeuten mochte.
Als Tiffany sich ihrem dreizehnten Geburtstag näherte, sorgte ihr Vater dafür, daß ständig junge Männer in das Haus auf der London Bridge kamen. Whittington hatte inzwischen geheiratet, doch er brachte mehrmals andere junge Mercer aus guten Familien vorbei. Drei Aldermen hatten Söhne passenden Alters; es gab einen italienischen Weinhändler, einen reichen deutschen Witwer, einen Hansekaufmann und mindestens ein Dutzend anderer Anwärter. Sogar ein junger Edelmann hatte sich eingefunden, der einmal ein riesiges Gut im Norden erben würde; der junge Mann sah recht gut aus, doch Vater und Tochter waren sich einig, daß er ziemlich dumm war.
Bull und seine Tochter hatten eine neue Art von Beziehung zueinander gefunden. Bull weihte seine Tochter in Angelegenheiten ein, die er früher nie mit Frauen besprochen hätte. Er hatte bislang nicht viel auf die Meinung von Frauen gegeben, doch nun, da er ihr in dieser Angelegenheit soviel Freiheit zugestanden hatte, erwartete er jedesmal, wenn er ihr einen neuen Anwärter vorstellte, mit großer Neugier ihr Urteil. »Ich bin mir sicher, daß sie zu gegebener Zeit eine gute Wahl treffen wird«, sagte er zu seiner Frau. Er hatte keine Eile, das Mädchen wegzugeben. »Keiner von ihnen ist gut genug für sie«, erklärte er manchmal.
Nur einem Anwärter, Silversleeves, schenkte er nach wie vor größere Aufmerksamkeit. Der junge Rechtsgelehrte ging besonders anständig vor. »Ich muß Euch gestehen, daß ich nur über ein bescheidenes Vermögen verfüge, auch wenn ich aus einer alteingesessenen Familie stamme«, erklärte er Bull. Schon vor
Weitere Kostenlose Bücher