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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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beiden trugen schwere, pelzbesetzte Mäntel und Pelzhüte. Sie gingen Seite an Seite und unterhielten sich offenbar so prächtig, daß sie Ducket erst gar nicht bemerkten. Er hatte Tiffany schon eine Weile nicht mehr gesehen. Seit seinem Gespräch mit Silversleeves hatte er sie nur noch selten besucht.
    Das Gesicht des langnasigen jungen Mannes war von der Kälte gerötet, was ihm aber gut bekam. Tiffany hatte ihr Gesicht ihm zugewandt, und ihre Augen funkelten amüsiert. Als sie endlich Ducket erkannten, lag in Tiffanys Lächeln nicht die geringste Spur von Befangenheit, sondern reine Freundlichkeit; Silversleeves' Begrüßung drückte die Heiterkeit eines Mannes aus, der glücklich verliebt ist und einen anderen trifft, den er keinesfalls als Rivalen betrachtet. Und war der junge Jurist nicht ein würdiger Gatte, der dieses bezaubernde junge Mädchen zu Recht für sich beanspruchen konnte, während er, Ducket, überhaupt keinen Anspruch hatte? Warum nur überwältigte den Lehrling plötzlich ein sehr heftiges Gefühl? Eine momentane, glasklare Erkenntnis, die ihn heiß durchfuhr: Sie war die Richtige für ihn.
    Aber dies war unmöglich. Er konnte sich nicht in Tiffany Bull verlieben, und er würde es auch nicht tun.
    Im Lauf der Zeit hatten sich die Stadtgrenzen ein gutes Stück hinter die alten Mauern verlagert. An mehreren Stellen der Zufahrtsstraßen in die Stadt waren die neuen Grenzen markiert mit Ketten, die über die Straße gespannt waren und die Fuhrwerke zum Halt zwangen, damit sie ihre Zölle entrichteten. Diese Sperren waren bekannt als Stadtschranken. Im Westen gab es zwei: etwa eine halbe Meile hinter Ludgate auf einer Straße, die nun Fleet Street hieß, nahe der Templeranlage lag die Temple-Schranke, etwa in der gleichen Entfernung hinter Newgate die Holborn-Schranke.
    Zwischen der Holborn- und der Temple-Schranke versammelten sich die gelehrtesten Männer Londons im Juristenviertel. In dieser Gegend hatte es schon seit langem Unterkünfte für Juristen gegeben. In jüngster Zeit nahm die Zahl der Rechtswissenschaftler ständig zu, und sie strömten alle in diese Gegend. Ihre Gemeinschaftsunterkünfte und Schulen bekamen allmählich bleibende Namen, etwa »Gray's Inn« und »Lincoln's Inn«; auch die Anlage der Templer, deren Kreuzfahrerorden sich aufgelöst hatte, wurde den Rechtsgelehrten übergeben. In der Mitte dieses Viertels lag die Chancery Lane, eine schmale Durchgangsstraße. Hier an der Chancery Lane wurde im ersten Stock eines kleinen Hauses das Geheimnis des Universums erforscht.
    Gebannt beobachtete Fleming die dunkle Gestalt, die sich hier an die Arbeit machte. Der Magier trug eine schwarze Robe, auf der mit goldenem Faden die Sonne, der Mond und die Planeten aufgestickt waren. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes standen zahllose Schüsselchen, Krüge, Phiolen, Bechergläser, Kochkolben. »Habt Ihr das Quecksilber?«
    Zitternd reichte der Gemischtwarenhändler ihm eine kleine Phiole, die zwei Unzen dieses flüssigen Metalls enthielt. Der Magier nickte zustimmend und maß sorgfältig eine Unze ab, die er in einen kleinen irdenen Schmelztiegel goß. Aus einer Schüssel nahm er ein paar Eisenspäne, aus einer anderen Atzkalk; dazu kamen Salpeter, Weinstein, Alaun, Schwefel, Knochenasche und Mondraute, als nächstes ein Zauberpulver, dessen Inhaltsstoffe keinesfalls preisgegeben werden durften; schließlich zerstieß der Magier noch eines der kostbaren Pfefferkörner, die Fleming ihm in der letzten Woche gebracht hatte, und gab dies ebenfalls in die Mischung. Sodann verrührte und erwärmte er das magische Gebräu, bis er endlich eine kleine Menge davon in eine Phiole goß. »Es ist fertig«, meinte er feierlich. »Das Elixier ist fertig!«
    Kein Wunder, daß Fleming zitterte. Das Elixier barg das Geheimnis des Universums, und nun würden sie Gold herstellen.
    Die Kunst oder auch die Wissenschaft der Alchemie basierte im Mittelalter auf einem einfachen Prinzip. So, wie die himmlischen Sphären in einer bestimmten Ordnung in die Unendlichkeit des Himmels emporstiegen, so, wie es eine bestimmte Hierarchie bei den Engeln gab, von den einfachen geflügelten Botschaftern bis zum prächtigen Seraphim an Gottes Seite, so hatte auch jedes Element seinen Platz, ausgehend vom gröbsten bis hin zum reinsten.
    Und so war es auch bei den Metallen. Die Gelehrten kannten sieben Metalle, von denen jedes einem bestimmten Planeten zugeordnet war: Blei dem Saturn, Zinn dem Jupiter, Kupfer der Venus,

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