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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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entfernt. »Tyler ist bei Blackheath.« Das war etwa dieselbe Entfernung an der Südseite der Themse. Alle Händler beeilten sich heimzukommen. Beim Überqueren der Brücke erfuhren sie: »Der Mayor hat Anweisung gegeben, die Zugbrücke heute nacht hochzuziehen.« An der Hauptstraße von Southwark verbarrikadierten alle Leute ihre Häuser, und Dame Barnikel stand mit einem riesigen Knüppel vor dem »George«. Fleming und sein Lehrling verstauten ihre Ware, verriegelten das Lager und verrammten den Zugang zum Innenhof.
    »Wo ist das Mädchen?« fragte Dame Barnikel ungeduldig. Amy war aus dem Haus geschlüpft, doch nach ein paar Minuten tauchte sie wieder auf und ging leise hinein. Als Ducket in die Küche kam, spürte er plötzlich, wie jemand ihn am Arm packte und in eine Ecke drängte. Es war Amy.
    »Hilf mir!« flüsterte sie. »Ich kann Ben nicht finden. Ich habe schreckliche Angst, daß ihm etwas passiert.«
    »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte er sie. »Er kann nicht weit sein, und bislang sind die Rebellen ja noch nicht in die Stadt eingedrungen.«
    »Du verstehst mich nicht«, flüsterte sie aufgeregt. »Ich glaube, er hat sich ihnen angeschlossen. Er ist sicher in Blackheath.«
    Ducket hatte nichts gegen den Spaziergang. Die Straße nach Kent stieg sanft vom Talboden auf einer Reihe von Terrassen an, bis sie an dem Punkt, an dem der Fluß seine große südliche Biegung beendete, oberhalb des Weilers von Greenwich auf einem Hügelkamm weiterführte. Hier lag auf einem breiten Plateau eine große Heidefläche, Blackheath.
    Ducket hatte noch nie eine so große Menschenmenge gesehen, wie sie sich hier versammelt hatte, er schätzte sie auf über fünfzigtausend Leute. Das riesige Lager erstreckte sich eine gute Meile auf dem Heideland. Ein paar Feuer waren bereits entzündet, ein paar Zelte aufgestellt, und es gab auch einige Pferde und Fuhrwerke. Die meisten Leute ruhten sich nach ihrem langen Marsch aus Canterbury einfach auf der Erde aus. Es waren Leute vom Land mit breiten, wettergegerbten Gesichtern, groben Kitteln und festen Stiefeln. Ducket hatte erwartet, ein finsteres, wütendes Heer vorzufinden, doch nur wenige Bauern trugen Waffen, und sie schienen bester Stimmung zu sein, eher wie bei einem Volksfest, nicht wie am Vorabend einer Schlacht.
    Er fürchtete schon, Carpenter niemals hier zu finden, doch nach einer Viertelstunde entdeckte er ihn, in ein Gespräch mit einem Handwerker vertieft. Als Ducket neben ihn trat, schien Carpenter sich zu freuen, ihn hier zu sehen. Er wirkte lebhafter als sonst. Nachdem er seinem Bekannten den Lehrling vorgestellt hatte, nahm er ihn am Arm und führte ihn quer über das Feld zu einem Punkt, von dem aus eine Gestalt auf einem Pferd zu sehen war, die einigen Männern Anweisungen gab. »Das dort ist Tyler«, sagte der Handwerker. Der Mann trug ein Lederwams; er hatte bloße Arme, sein markantes Gesicht wirkte herrisch.
    Als Ducket einwarf, daß Amy sich Sorgen machte und Dame Barnikel sich darauf vorbereitete, das »George« gegen die Rebellenhorde zu verteidigen, lachte Carpenter nur. »Du verstehst nicht recht«, meinte er. »Diese guten Leute hier sind alle loyal. Sie sind hier, weil sie das Königreich retten wollen. Der König persönlich kommt morgen hierher, um mit uns zu verhandeln, und sobald er uns gehört hat, wird sich alles fügen.«
    In diesem Augenblick entstand ein kleiner Tumult am Südrand des Lagers. Ein paar Männer zerrten einen Karren herbei. »Komm mit!« sagte Carpenter. Sie verschafften sich einen guten Platz, und nur wenige Minuten darauf tauchte auch Tyler auf; neben ihm ritt ein großer, grobknochiger Mann in einem braunen Kittel, der, bei dem Karren angekommen, von seiner grauen Stute sprang und den Karren erklomm. Er hob die Hände und rief mit lauter Stimme: »John Ball grüßt Euch alle von Herzen!« Sofort kehrte andächtiges Schweigen ein.
    Das Thema von John Balls Predigt war einfach genug: Alle Menschen waren gleich. Wenn Gott Herren und Diener gewollt hätte, dann hätte er es schon bei seiner Schöpfung so eingerichtet. Ball ging viel weiter, im Gegensatz zu Wyclif, der sich ausschließlich auf die Autorität Gottes berief. Jegliches Herrentum war schlecht; der gesamte Reichtum sollte allen zugänglich gemacht werden.
    Dieser Prediger beherrschte es meisterhaft, das englische Herz anzusprechen. »Stolz regiert in den Palästen!« schrie er. »Die Regierung ist unersättlich! Die Juristen sind Blutsauger! Warum hat es der Herr in

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