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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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schüttelte; die Königsbarkasse wurde gewendet.
    »Verrat!« brüllte die Menge nun. Und dann kam der nächste Aufschrei: »Vorwärts!«
    Bull stand mit hochrotem Gesicht in der Mitte der Brücke und brüllte den Alderman auf seinem Pferd an: »Im Namen Gottes, Mann, tut, was Euch befohlen wurde! Zieht die Zugbrücke hoch!«
    Er hatte recht – der Befehl des Mayors war eindeutig. Doch als die riesige Horde von Menschen aus Kent durch Southwark strömte, verweigerte der Alderman, der für die Brücke zuständig war, den Befehl. Am Vortag waren drei Aldermen in Blackheath gewesen und hatten berichtet, daß Tyler und seine Männer loyal und völlig harmlos seien, und deshalb deutete er die jetzige Situation völlig falsch. »Provoziert die Leute nicht«, sagte er. »Laßt sie durch!«
    »Idiot!« brüllte Bull, rannte zurück zu seinem Haus und begann, die Eingangstür zu verrammeln und die Fensterläden zu schließen. Nur wenige Minuten später wälzte sich der Menschenstrom am Haus vorbei.
    Als die Masse am »George« vorbeimarschiert war, hatte Ducket Dame Barnikel gesehen, die mit einem Knüppel in der Hand grimmig die Eingangstür bewachte. Er hatte versucht, Carpenter in ihre Richtung zu schubsen, denn sie hätte ihn sicher aufhalten können; aber der Sog trieb sie weiter. Vor der Brücke staute sich die Menge, die darauf wartete, sie zu überqueren, während andere am Südufer Richtung Lambeth weiterströmten. »Kehr um!« flehte er Carpenter an. »Es gibt sicher Ärger.« Doch Carpenter weigerte sich. »Du wirst schon sehen, es gibt keinen Ärger.«
    Und tatsächlich schien er recht zu haben. Tyler hatte offenbar den strikten Befehl erlassen, nicht zu plündern. Die Londoner waren zwar vorsichtig, doch freundlich. Die Männer aus Kent begannen, durch die Straßen zu streifen, und Ducket sah einige in Schenken abwandern. Die Hauptmasse strömte den Cheap entlang, vorbei an St. Paul's und durch das Newgate hinaus nach Smithfield, wo sie ein Lager aufschlugen. Am späten Vormittag verließ Ducket seinen Freund und wanderte durch die Stadt. Aldgate stand offen, und ein steter Strom von Männern aus Essex kam aus Mile End durch dieses Tor in die Stadt. Chaucer war ebenfalls da und beobachtete das Treiben gefaßt. »Ich weiß zwar nicht, warum das Tor geöffnet wurde«, sagte er, »aber immerhin scheinen sie nicht hinter meinen Büchern her zu sein.«
    Ducket berichtete ihm alles, was er gesehen und gehört hatte. »Könnten denn die Bauern wirklich die Macht übernehmen?« fragte er.
    »Sie haben es auch in anderen Ländern schon versucht«, sagte Chaucer, »aber nie geschafft. Doch heute wird es sicher Arger geben.«
    Und schon am Nachmittag stellte sich heraus, daß Chaucer mit seiner Befürchtung recht hatte. Ducket war kaum eine Stunde zurück auf dem Smithfield, als er merkte, daß die Menge unruhig wurde. Auch eine Horde Londoner hatte sich dazugesellt; manche davon Lehrlinge, die nur zur Unterhaltung dabeisein wollten, andere eindeutig Unruhestifter. Bald wurden zornige Rufe laut. Und dann begann die gesamte Masse sich plötzlich zu sammeln und Richtung Westminster zu strömen, sei es nun aus eigenem Antrieb oder auf Tylers Befehl hin. Kurz vor Charing Cross kam sie zu dem prächtigen SavoyPalast, der Residenz Johanns von Gent. Nun hatte sie eine Zielscheibe.
    Bald stand der gesamte Palast, dieses riesige Symbol feudaler Privilegien, in Flammen. Ducket sah traurig zu, denn es war ein wahrhaft schönes Bauwerk; neben ihm stand ein ziemlich verwirrter Carpenter. Ducket, der annahm, daß seinem Freund hier in der Menge nichts passieren würde, ging zum Tempelbezirk, in dem einige der Juristenunterkünfte in Brand gesteckt wurden; bei seiner Rückkehr stellte er fest, daß Carpenter verschwunden war. Dann sah er ihn.
    Welcher Teufel ritt ihn nur? Der ernste Zimmerer ging langsam in den Hof des Palastes. Auch andere waren dort und plünderten alles, was sie den Flammen entreißen konnten, aber der Handwerker lief nur wie ein Schlafwandler in eines der Gebäude, als sei er von den Flammen angezogen. Ducket dachte nicht lange darüber nach, er hechtete hinter seinem Freund her; das Gebäude stürzte in dem Moment, in dem er es erreichte, zusammen. Er sah Carpenter hinfallen, sprang ihm nach, schaffte es, ihn hinauszuzerren, und zog sich dabei selbst einige Verbrennungen zu. Carpenter war bewußtlos. Mit Hilfe eines anderen Mannes schaffte Ducket es, ihn hochzuheben und wegzutragen.
    Eine halbe Stunde später ließ

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