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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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hindurchschoß. Die Gesellschaft war entspannt, der Hausherr plauderte liebenswürdig mit seinen Gästen.
    Tiffany betrat den Raum. Wie hübsch sie war! Sie ging zu Silversleeves, begrüßte ihn herzlich und begann dann, sich den anderen Gästen zuzuwenden. Sie sprach sogar mit James. Ab und zu wanderte ihr Blick zur Tür. Ihr Vater lächelte sie an, sie lächelte zurück.
    Diese Einladung war ihr Handel. »Ich werde es niemandem erzählen«, hatte er ihr mitgeteilt, »denn ich will weder Silversleeves noch mich selbst in Verlegenheit bringen. Du kannst dir einen der jungen Männer im Raum zum Heiraten aussuchen; sie haben alle ihr Interesse kundgetan. Aber wenn du heute niemanden wählst, dann wirst du entweder Silversleeves heiraten oder in ein Kloster eintreten, das schwöre ich dir.«
    Es war ein bitterer Schlag, denn eigentlich hatte sie ihren Vater langsam mit ihrer neuen Idee vertraut machen wollen. Doch sie wußte, daß es ihm ernst war, und nun mußte sie ein sehr hohes Risiko eingehen. Sie wollte auf Ducket deuten.
    Aber wenn Ducket sie gar nicht wollte? Wenn er vielleicht schon mit Amy verlobt war? Sie hatte es nicht gewagt, dem dicken Mädchen zuviel zu sagen, als sie es heute zu Ducket geschickt hatte. Sie hatte es nicht einmal gewagt, einen Brief zu schicken. Und jetzt war er noch nicht da. Wo blieb er nur?
    Ducket sah die Gäste ankommen und wartete ab. Er wollte niemanden treffen, wenn er sich dem Haus näherte. Falls Silversleeves oder Bull ihn ertappten, würden sie ihn sicher hinauswerfen lassen. Außerdem wußte er nicht einmal genau, warum Tiffany ihn hatte herbeirufen lassen, aber er hatte die schlimmsten Befürchtungen. Silversleeves oder das Kloster – soviel hatte ihm das dicke Mädchen gesagt, mehr nicht.
    Ob Silversleeves auch da war? Ducket hatte sich jedenfalls darauf vorbereitet. Das Messer steckte im Gürtel unter seinem Hemd. Sobald er sich sicher war, wie die Dinge standen, wollte er es benutzen. Silversleeves mußte sterben. Ihn selbst würde dafür wohl der Galgen erwarten, aber dies nahm er grimmig die Achseln zuckend in Kauf.
    Gerade eilte noch ein verspäteter Gast ins Haus. Es war der Priester. Plötzlich verstand Ducket alles und erschrak zutiefst. »Mein Gott, die Hochzeit soll noch heute stattfinden«, murmelte er. Und die Gesellschaft hatte sich hier versammelt, um die Eheschließung zu bezeugen. Mit wild pochendem Herzen eilte er zur Küchentür.
    Er folgte dem dicken Mädchen die Treppen hinauf. Es hatte ihm eine alte Kochschürze und eine kleine Mütze gegeben, unter der er seine verräterische Haarsträhne verbergen konnte. Er trug eine Platte mit Speisen und hoffte, daß die Leute ihn für einen Bediensteten halten würden, wenn er sich mit gesenktem Haupt im Hintergrund hielt.
    An der Schwelle machten sie halt. Das dicke Mädchen gab Tiffany ein Zeichen. Ducket sah, daß mindestens zwanzig Leute im Raum waren.
    Tiffany kam zu ihnen. Sie wirkte blaß und verängstigt. »Gott sei Dank bist du gekommen!« sagte sie. »Ich habe Vater erklärt, daß ich Silversleeves nicht heiraten werde. Aber sag mir eins, Geoffrey Ducket« – ihre Augen blickten forschend in seine – »Ich muß es einfach wissen: Liebst du mich?«
    »So sehr, daß ich für dich sterben würde«, sagte er nur. Und dies war die Wahrheit.
    Da hörten sie Bull nach ihr rufen. Tiffany zuckte verzweifelt die Achseln und kehrte in den Raum zurück.
    Nun ging auch Ducket hinein. Niemand schien ihn zu beachten. Er sah Silversleeves, der vor dem Tisch stand, auf dem das Astrolabium lag. Er sah auch James Bull und fluchte leise. Eine weitere Person, die ihn erkennen könnte. Er hielt die Platte in der linken Hand und forschte mit der rechten unter seinem Hemd nach dem Dolch.
    Tiffany und ihr Vater standen ein wenig abseits in der Nähe des Fensters. »Vater, du hast doch gesagt, wenn ich es nicht über mich bringen könnte, Silversleeves zu heiraten, dann könnte ich irgendeinen anderen der hier Anwesenden nehmen?«
    »Das habe ich gesagt.«
    »Es gibt einen Mann in diesem Zimmer, von dem du nicht viel hältst und über den wir auch nie als einen möglichen Ehemann gesprochen haben. Dennoch liebe ich diesen Mann von ganzem Herzen. Wirst du mir erlauben, ihn zu heiraten? Wenn nicht, dann werde ich ins Kloster gehen müssen.«
    Bull blickte sich um. Der einzige Mann, auf den Tiffanys Worte passen konnten, schien James Bull zu sein. Hatte sich seine Tochter etwa in diesen schwerfälligen Burschen verliebt? Das war

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