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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wirklich eine ziemlich herbe Enttäuschung. »Nun denn…« sagte er seufzend.
    »Es ist Ducket«, sagte sie und deutete auf ihn.
    »Was?« Bull lief puterrot an. Sein Brüllen ließ den ganzen Raum erbeben. Die gesamte Gesellschaft drehte sich um und folgte seinem Blick.
    Ducket erbleichte. Alle starrten ihn an. Man hatte ihn erkannt. Bevor man ihn hinauswarf, mußte er zuschlagen. Er umklammerte sein verborgenes Messer und ging auf Silversleeves zu.
    Doch inzwischen hatte sich Bull wutschnaubend wieder seiner Tochter zugewandt. Er schlug sie so hart ins Gesicht, daß sie mit einem lauten Schrei auf das offene Fenster zutaumelte, das Gleichgewicht verlor und hinausstürzte.
    »O Gott!« Bull hechtete aschfahl zum Fenster.
    Tiffanys Gewand schien die Wirkung des tiefen Sturzes zu mindern; sie tauchte nur kurz unter und kam dann wieder an die Wasseroberfläche. Sie sah, daß einer der großen Brückenpfeiler nur wenig von ihr entfernt war, und bemühte sich verzweifelt, diesen Pfeiler zu erreichen, bevor die Strömung sie zu dem Punkt trieb, an dem die Wassermassen zu ihrem unwiderstehlichen Sog in den Kanal ansetzten. Sie schaffte es, eines der langen Flußgräser zu ergreifen, die an den Brückenpfeilern wuchsen. Aber die Strömung zerrte schon an ihrem Gewand. Die Gräser waren schlüpfrig. Sie hielt sich krampfhaft daran fest, aber sie wußte, daß sie nicht lange würde durchhalten können. Neben ihr dröhnten und schäumten die Wasserstrudel, und die Strömung schien sie beharrlich dorthin treiben zu wollen.
    In dem großen Raum über ihr herrschte eine immense Verwirrung. Bull versuchte, sich seiner schweren Tracht zu entledigen. Silversleeves war mit einem Ausdruck tiefster Frömmigkeit auf die Knie gesunken und betete laut, während James Bull schrie: »Ein Seil! So holt doch ein Seil!« er stolperte durch das Zimmer, stieß den Tisch um und zertrampelte schließlich in seiner Hast auch noch das Astrolabium.
    Ducket ließ das Messer fallen, rannte zum Fenster und stürzte Tiffany hinterher, gerade, als sie die Gräser nicht länger umklammern konnte. Eine Sekunde später folgte er ihr in den tosenden Strudel.
    Bull hatte viele Fehler, aber Undankbarkeit gehörte nicht zu ihnen. Und ein Feigling war er auch nicht. Ein paar Stunden später, als Tiffany sich soweit erholt hatte, daß sie wieder ansprechbar war, setzte er sich ein Weilchen an ihr Bett und hörte ihr aufmerksam zu. Dann ging er hinunter in die Küche, wo Ducket am Feuer saß, und bat den Lehrling, ihn in das große Zimmer zu begleiten.
    »Ich habe dir bereits dafür gedankt, daß du Tiffany das Leben gerettet hast«, sagte er. »Aber nun, nach meinem Gespräch mit Tiffany, möchte ich mich bei dir dafür entschuldigen, daß ich deinen Charakter angezweifelt habe. Ich bitte dich um Verzeihung. Außerdem scheint meine Tochter sehr erpicht darauf zu sein, dich zu heiraten anstatt den Schurken Silversleeves. Offenbar ist ihr Urteil besser als meines. Die Frage ist nun, ob du dies auch in Betracht ziehen würdest.«
    Eine Woche später heirateten Tiffany und Ducket. Alle waren glücklich. Whittington stand neben dem Bräutigam, Chaucer hielt eine Rede. Bull hatte nur noch eine Auflage gehabt. »Da ich keinen Sohn habe, und da du ein großes Vermögen von mir erben wirst, bitte ich dich um eines, Ducket: Du sollst den Namen Bull annehmen.« Das Paar hatte nichts dagegen. Und so begannen Geoffrey und Tiffany Bull ihr gemeinsames Leben in dem hübschen Haus auf dem Oyster Hill nahe der London Bridge, das bereits für sie ausgesucht war.
    Einen Monat später fand ein weiteres glückliches Ereignis statt. Am Vorabend der Hochzeit ihrer Tochter mit Carpenter verkündete Dame Barnikel, daß sie James heiraten würde.
    Sie hatte beschlossen, aus diesem jungen Mann noch etwas zu machen; und James Bull hatte gemerkt, daß das »George« ein solides Geschäft war, wenn er denn schon nicht zu dem Vermögen kam, von dem er geträumt hatte. »Er wird Brauer werden«, hatte sie der Gilde erklärt, und man hatte ihr nicht widersprochen. So entstand die Bull-Brauerei.
    1386
    Chaucer hatte sich in letzter Zeit Sorgen um seinen Freund Gilbert Bull gemacht. Vor zwei Jahren war Bulls Frau gestorben, und der Kaufmann fühlte sich sehr einsam. Als Chaucer im Frühling 1385 ein neues Amt antrat, hatte er einen guten Grund, um Bull abzulenken. »Du kommst mit mir«, sagte er. »Und zwar nach Kent.« Chaucer war zum Friedensrichter berufen worden.
    Die Rolle des

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