London
doch schließlich sagte er mit fester Stimme: »Ich fürchte, du mußt ihn heiraten, und dabei bleibt es auch. Darüber brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten.«
»Aber du hast mir doch dein Wort gegeben«, rief Tiffany. »Und jetzt brichst du es. Du hast mir versprochen, daß ich wählen kann.«
»Du hast gewählt«, brüllte er, »und zwar Silversleeves. Und jetzt willst du dein Wort brechen. Das werde ich nicht zulassen.«
»Ich hasse ihn«, schrie sie nun ebenso laut wie er. »Ich werde die Ehegelübde nicht sprechen. Du kannst mich nicht dazu zwingen.«
»Dann werde ich dich in ein Nonnenkloster stecken.«
»Schick mich doch ins St. Helen's«, kreischte sie. »Dort werde ich zumindest meinen Spaß haben.« Damit rannte sie aus dem Raum und ließ ihren Vater mit hochrotem Gesicht zurück.
Bull befahl, sie in ihr Zimmer zu sperren. »Dort soll sie bleiben, bis sie wieder Vernunft angenommen hat«, erklärte er. Nur das dicke Mädchen durfte ihr einen Krug Wasser und eine Schale Grütze bringen.
So vergingen drei Tage. Ihre Mutter nahm an, daß es sich um einen nervösen Anfall handelte; sie versuchte, mit ihrer Tochter zu reden, kehrte jedoch unverrichteter Dinge aus Tiffanys Zimmer zurück. Die Hochzeitsvorkehrungen wurden fortgesetzt. Silversleeves wurde nichts erzählt. »Entweder sie faßt sich wieder, oder ich schicke sie wirklich in ein Kloster«, sagte Bull zu seiner besorgten Frau. Doch am Abend des vierten Tages war er sich so unsicher, daß er etwas tat, was er noch nie zuvor in seinem Eheleben getan hatte. »Was soll ich deiner Meinung nach tun?« fragte er seine Frau.
»Ich glaube«, sagte sie leise, »du wirst sie entweder in ein Kloster stecken oder ihr ihren Willen lassen müssen.«
Tiffanys Zimmer befand sich direkt über dem großen Wohnzimmer im ersten Stock und bot einen hübschen Blick auf den Fluß. Dort saß sie nun und hatte genügend Zeit zum Nachdenken.
Was wollte sie wirklich? Anfangs wußte sie es selbst nicht so recht; sie wußte nur, daß sie weder Silversleeves heiraten noch eine Nonne werden wollte. Am zweiten Tag begann sie klarer zu sehen; am dritten wußte sie es, und es kam ihr so einfach und natürlich vor, daß sie sich fragte, warum sie nicht schon viel früher darauf gekommen war. Aber wie sollte sie es bewerkstelligen? Sie mußte auf alle Fälle etwas Zeit herausschinden.
»Ich habe dir immer gehorcht, Vater«, sagte sie schließlich mit unterwürfiger, leiser Stimme. »Wenn du mich wirklich liebst, dann verdamme mich nicht zu einem Leben im Unglück!«
»Was willst du dann?«
»Ich möchte, daß du mir hilfst. Bitte verhilf mir dazu, daß mein Herz sich sicher wird.«
Bull hatte nicht den Wunsch, sie in einem Kloster zu sehen. Er wollte Enkel. »Ich werde einen Handel mit dir abschließen«, sagte er. »Aber es wird der letzte sein.« Er erklärte ihr die Sache, dann ging er wieder und riegelte die Tür hinter sich ab.
Tiffany blieb blaß und nachdenklich zurück. Sie hatte etwas ganz anderes gewollt. Aber was konnte sie nun tun? Offenbar mußte sie alles auf eine Karte setzen.
Unter den Gästen, die an diesem Abend im Hause des Kaufmanns Bull eintrafen, befand sich eine erstaunlich hohe Zahl unverheirateter junger Männer. Es gab auch einige Aldermen mittleren Alters mit ihren Ehefrauen, und zwei von ihnen hatten ihre Tochter mitgebracht; auch eine Witwe und ein Priester waren geladen. Aber es gab mindestens sieben Junggesellen.
Der Kaufmann hatte noch am Vormittag dieses Tages so viele junge Männer eingeladen, wie er für nötig erachtet hatte. Neben Silversleeves, der in der Mitte des großen Zimmers im ersten Stock stand und sehr selbstsicher und gelassen wirkte, gab es vier Söhne von Kaufleuten, einen jungen Seidenhändler und einen Wollwarenhändler, beide aus gutsituierten Familien, sowie einen jungen Mann, der ein stattliches Landgut sein eigen nennen konnte. Die einzige Ausnahme, die Eignung als potentieller Ehemann betreffend, war ein großer, ziemlich grober Kerl, der mit rotem Gesicht und ein wenig aufgeregt hinter den anderen die Treppe hochgepoltert war. Der Kaufmann hatte James Bull zufällig an diesem Morgen in der Stadt getroffen und ihn ebenfalls eingeladen.
Es war schon fast Hochsommer, und es gab noch einige Stunden Tageslicht. Es war warm; die untere Hälfte des großen Fensters stand weit offen, so daß eine angenehme Brise vom Fluß hereinwehen konnte, der mit lautem Brüllen durch den unter dem Haus liegenden Kanal
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