London
möglichen Leute betrogen hatte, daß er ein abgebrühter Lügner war. Tiffany hörte nachdenklich zu. Schließlich sagte sie: »Du erzählst mir schreckliche Sachen über den Mann, den ich heiraten soll. Aber du sagst mir nicht, wer seine Opfer sind. Du lieferst mir keine Beweise. Wie soll ich dir glauben?«
Ja, wie sollte sie das tun? Und warum? Was hatte er denn getan, daß sie ihm mehr vertrauen sollte als Silversleeves? Als er sie nun musterte, erkannte er mit einer fast schmerzhaften Heftigkeit, daß er dieses Mädchen liebte. »Wenn du morgen herkommst, liefere ich dir einen Beweis«, sagte er.
Aber konnte er dies denn tun? Diese Frage stellte er sich, sobald Tiffany gegangen war. Silversleeves rechnete offenbar fest damit, daß Fleming nicht reden würde. Er mußte ihn dazu bringen. Ducket seufzte, aber momentan fiel ihm einfach nichts Besseres ein. Also wartete er auf Flemings Rückkehr.
Sie fanden Fleming am Abend, als Dame Barnikel und Ducket die Tür zum Lager aufbrachen. Dort hing er an einem Strick, den er an einem Balken befestigt hatte. Sein Abschiedsbrief war klar und deutlich.
»Die Sache mit dem Kopfsteuergeld und all dem anderen Geld tut mir leid. Ich selbst habe es gestohlen. Ich habe versucht, Geld für dich und Amy zu verdienen. Bitte stelle keine weiteren Fragen. Ich möchte, daß Ducket das Geschäft übernimmt. Er war ein guter Freund und sehr loyal. Er hat versucht, mich zu retten, aber dafür war es zu spät. Du kannst ihm vertrauen.«
Nachdem Dame Barnikel den Brief gelesen hatte, wandte sie sich an Ducket. »Verstehst du das alles? Er sagt, er habe das Geld selbst gestohlen. Dabei dachte ich immer, du hast es gestohlen.«
»Ich weiß, aber er wollte nur Gutes damit tun. Ich habe ihm versprochen, nicht darüber zu reden.«
»Aber dies hätte er nicht tun müssen«, sagte sie. Doch Ducket verstand, daß ihm nichts anderes übriggeblieben war. Der Strick um den Hals des armen Fleming war zwar der sichtbare Grund für seinen Tod, doch der Lehrling wußte, daß sein trauriger kleiner Meister an der Schande gestorben war.
»Dann übernimmst eben du das Geschäft«, sagte Dame Barnikel gefaßt. Doch das half Ducket momentan auch nicht viel. Als Tiffany am nächsten Morgen ins »George« kam, sagte er nur: »Den Menschen, der dich vielleicht hätte überzeugen können, gibt es nicht mehr. Ich habe keinen Beweis.«
»Also habe ich nur dein Wort?«
Er nickte. Sie ging. Was würde sie nun beschließen? Er wußte nur eines: Er würde es nicht zulassen, daß sie in Silversleeves' Klauen geriet. Um dies zu verhindern, würde er ihn sogar umbringen, wenn es denn nicht anders ginge.
Dame Barnikel war nicht oft reumütig, aber als sie am nächsten Morgen auf ihrem großen Bett saß und mit Amy sprach, war sie es. »Ich komme einfach nicht darüber hinweg, wie sehr ich mich in dem Jungen getäuscht habe«, murmelte sie. »Er ist ja wirklich ein kleiner Held. Carpenter hat er das Leben gerettet. Des Diebstahls verdächtigt, hat er deinen Vater gedeckt und offenbar auch versucht, ihn zu retten. Bull weigert sich, ihm das versprochene Geld zu geben. Wahrscheinlich gibt's dafür auch noch eine gute Erklärung. Und niemals beklagt er sich. Er ist wirklich ein mutiger Kerl! Und so loyal!« Amy widersprach ihr nicht. Dame Barnikel stand auf. »Jetzt muß ich mich um die Beerdigung deines armen Vaters kümmern«, sagte sie. An der Tür hielt sie inne. »Ich weiß, daß du von mir fortwillst«, sagte sie. »Aber heirate bitte nicht Carpenter. Du weißt doch, daß du ihn nicht liebst.«
Hochzeitsvorbereitungen sind meist eine vergnügliche Angelegenheit. Kleider mußten genäht werden, und natürlich auch Nachthemden. Truhen voller Leinen mußten gelüftet werden. Es waren zwar noch zwei Wochen bis zu dem großen Ereignis, doch die Köchin und ihre dicke junge Gehilfin begannen bereits mit ihren Vorbereitungen in der Küche. Bull und Silversleeves hatten ein hübsches Haus auf dem Oyster Hill in der Nähe der Brücke erworben, wo das junge Paar leben sollte.
Doch für Tiffany war diese Zeit schmerzlich, auch wenn sie sich um Heiterkeit bemühte. Konnte es denn sein, daß ihr Kindheitsfreund, den sie wie einen Bruder liebte, log? Wenn sie in das ruhige Gesicht ihres Bräutigams blickte, kamen ihr Duckets Vorwürfe unmöglich vor. Wen von den beiden kannte sie wirklich – das Findelkind oder den klugen Juristen?
Und noch etwas beunruhigte sie, während sie die Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit
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