London
seinem Sohn, »die dir vielleicht bei der Gründung eines sinnvollen kleinen Unternehmens unter die Arme greifen könnten.« Heute abend sollte Julius die beiden treffen.
Die Soldaten kamen plötzlich und ohne Warnung. Draußen ertönte ein Klirren und ein lauter Schrei, dann wurde an die Tür gehämmert. Julius sah einen Helm vor dem Fenster funkeln. Sie warteten nicht auf eine Antwort, sondern hieben bereits mit ihren Schwertern auf die Tür ein.
Sextus sprang auf, griff eine Tasche von seiner Werkbank und schaufelte die Dinge, die auf dem Tisch lagen, hinein – Münzen, Gußformen, alles. Dann rannte er zu dem Schrank in der Ecke, riß ihn auf und stopfte alles, was auf den Regalen herumlag, hinein: weitere Gußformen, Metallstückchen und eine Sammlung von Münzen, die Julius noch gar nicht gesehen hatte. Schließlich zerrte er Julius, der vor Schreck wie gelähmt war, in die Küche und warf einen Blick auf den kleinen Hinterhof. Sie hatten Glück. Die Legionäre, denen befohlen worden war, sich die Rückseite des Hauses vorzunehmen, waren aus Versehen in den Hinterhof der danebenliegenden Werkstatt gestolpert. Sextus drückte Julius die Tasche in die Hand und schubste ihn hinaus. »Geh! Renn!« zischte er. »Und versteck das Zeug!« Julius erwachte endlich aus seiner Erstarrung. Er machte einen großen Satz über die Mauer, gelangte in den Hinterhof am Ende der kleinen Anlage und schlüpfte in das Labyrinth von kleinen Gassen. Die Tasche hatte er unter seine Tunika gestopft.
Noch bevor er die Gasse erreicht hatte, war die Tür eingeschlagen und die Soldaten stürmten in die Hütte, wo sie auf den Zimmerer Sextus stießen, der offenbar gerade aus seinem Mittagsschlaf erwacht war und sie erstaunt anblinzelte. Von Münzfälschungen war nichts zu sehen. Doch der Zenturio gab sich nicht so leicht zufrieden. Er rannte zur Rückseite des Hauses.
Julius war schon ein gutes Stück die Gasse entlanggerannt, als er den tiefen, bellenden Befehl hörte. Als er sich umblickte, sah er den großen Zenturio, der auf die Mauer geklettert war und die Gassen durchforschte. Julius drehte sich um und hörte, wie er den Legionären unter ihm zurief: »Dort ist er! Dort drüben.« Das durch die Narbe entstellte Gesicht, das Julius deutlich sah, machte das Ganze noch schrecklicher. Er floh.
Es war nicht schwer, die Legionäre in den Gassen abzuschütteln. Er war schneller als sie. Erst etwas später fiel ihm ein, daß er sich nicht hätte umblicken dürfen. »Wenn ich ihn gesehen habe, dann hat er auch mich gesehen«, murmelte er. Seine weiße Haarsträhne würde ihn leicht verraten. Die Frage war nur, was der Zenturio gesehen hatte.
Martina stand am südlichen Ende der Brücke. Der Sommertag neigte sich dem Ende zu. Im Westen zogen sich violette Wolken am bernsteinfarbenen Horizont zusammen. Sie hielt den Brief in der Hand. Ein Knabe hatte ihn ihr gebracht. Er war auf Papier geschrieben, was teuer war, und zwar in Lateinisch und in einer sehr ordentlichen Schrift – Julius hatte sich die größte Mühe gegeben. Sie mußte sich eingestehen, daß sie aufgeregt war.
»Komm morgen nachmittag während der Spiele zur Brücke. Ich habe ein Geschenk für dich. Ich denke Tag und Nacht an dich. J.«
Obwohl er nicht mit seinem vollen Namen unterzeichnet hatte, wußte sie, wer der Verfasser dieses Briefes war. Der junge Boxer. Und nun fragte sie sich, was sie tun sollte.
In der Abendsonne gaben die rotgedeckten Dächer der Stadt, die blassen Wände und die steinernen Säulen ein heiteres Bild ab. Warum nur überkam sie plötzlich eine gewisse Schwermut? Vielleicht war es die Brücke. Dieses hervorragende Beispiel römischer Baukunst, aus Holz auf langen, massiven Pfosten errichtet, erstreckte sich hoch über dem Wasser. Ihre lange, dunkle Form erinnerte Martina an ihre eigene einsame Reise durchs Leben. Als sie den Kapitän in Gallien kennengelernt hatte, waren ihre Eltern bereits gestorben. Er hatte ihr ein neues Leben, Heim und Sicherheit angeboten, und sie war ihm dafür dankbar.
Stolz hatte der Kapitän ihr die Stadt gezeigt. Sie war besonders begeistert über die langen hölzernen Piers, die in den Fluß hineingebaut waren. »Sie sind alle aus Eichenholz«, hatte er gesagt, »in Britannien gibt es viele Eichen.« Sie waren die breite Straße von der Brücke zum Forum hinaufgelaufen. Der Platz hatte sie zwar beeindruckt, aber am stärksten imponierte ihr das alleinstehende Gebäude, das sich über die gesamte Nordseite erstreckte.
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