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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Gerichtssaal, um ihre Pacht an den Grundbesitzer zu bezahlen, und die schwarzen alten Kessel in der Küche waren seit der Zeit der Plantagenets in Gebrauch.
    Die alte Seemannstruhe sah so geheimnisvoll aus, daß Julius seinen Vater danach fragte und erstaunt die Antwort vernahm: »Das ist ein Piratenschatz.«
    Ein richtiger Pirat, und, noch aufregender, ein Mohr. Gebannt hörte der Junge zu, als sein Vater ihm von dem fremdartigen Seefahrer erzählte, der ihm den Schatz zur Verwahrung gegeben hatte. »Es heißt, er habe ein Mädchen vom Globe entführt, aber niemand weiß etwas Genaues. Man hat ihn nie wieder gesehen. Die einen sagen, er sei nach Amerika gefahren, die anderen meinen, nach der Südsee. Wenn er je zurückkehrt, wird es für ihn wohl die drei Gezeiten geben.« Jedermann wußte, was die Strafe für Piraten war. Bei Ebbe band man sie in Wapping, vom Tower aus etwas flußabwärts, an einen Pfahl und ließ sie dort, bis sie dreimal von der Flut überströmt worden waren – ein passender Wassertod. Die alten Freibeuter hatten ihre Rolle ausgespielt. Da König Jakob nun mit Spanien Frieden geschlossen hatte, brauchte man sie nicht einmal mehr zu Englands Verteidigung. Zwar war den Puritanern jeder Hauch von Freundschaft mit dem katholischen Feind zuwider, aber es war nun einmal so, daß England sich kostspielige Kriege nicht leisten konnte. Daher brauchte man keine Piraten mehr, die feindliche Schiffe ausplünderten. Männer wie der Finstere Barnikel gehörten in Ketten.
    Aber Julius war einfach fasziniert. In seiner Phantasie war der Finstere Barnikel bereits zu einem Riesen geworden, und er wäre wohl in einen Tagtraum versunken, wenn die Stimme seines Vaters ihn nicht aufgeschreckt hätte. »Ich will, daß diese Truhe dich etwas Wichtiges lehrt. Überleg einmal. Wenn dieser Schatz dem König gehörte, würde ich ihn dann mit meinem Leben bewachen?«
    »Natürlich, Vater.«
    »Aber er ist mir von einem Piraten anvertraut worden, der es verdient, gehängt zu werden. Sollte ich also dennoch auf den Schatz aufpassen?« Der Junge zögerte. »Ja, Julius«, mahnte der Vater, »weil ich mein Wort gegeben habe. Und dein Wort muß heilig sein, Julius. Vergiß das nie.«
    Und Julius vergaß es nie, obwohl er sich insgeheim fragte, was aus dem Piraten geworden war.
    1613
    Ende Juni 1613 ereigneten sich zwei Wunder. Zuerst brannte das Globe Theatre völlig ab. Es geschah während einer Vorführung von Shakespeares Heinrich VIII.: Eine Kanone, die auf der Bühne abgefeuert wurde, sprühte Funken in das Reetdach, so daß das ganze Theater zu brennen begann. Cuthbert, der sein Wort gehalten und seit zwei Jahren kein Stück mehr gesehen hatte, blickte traurig drein, doch Martha, die darin ein deutliches Gottesurteil sah, wurde es leichter ums Herz.
    Und zweitens heiratete Martha. John Dogget, Cuthberts Freund mit der Bootswerkstatt, hatte plötzlich seine Frau verloren und stand mit seinen fünf kleinen Kindern verzweifelt da. »Er braucht eine Frau«, sagte Cuthbert zu Martha, »eine gute Frau, die sich um die Kinder kümmert.« Sie besuchte die Familie und stellte fest, daß Dogget ein hart arbeitender und gutmütiger Mann war, aber von all seinen Pflichten überfordert, so daß seine Kinder keine rechte Ordnung kannten. »Sie kennen kaum die Bibel«, bemerkte sie zu Cuthbert. »Du könntest sie retten. Es wäre eine Christenpflicht«, drängte er sie.
    Einige Tage zögerte sie. Southwark hatte keinen Reiz für sie, doch sie konnte nicht leugnen, daß die Not der Doggets groß war, und daher suchte sie den Schiffsbauer wieder auf.
    »Ihr müßt mich lehren, Euch eine Frau zu sein«, sagte sie sanft, und Dogget versprach es. »Einige Veränderungen werden nötig sein«, meinte sie.
    »Natürlich«, erwiderte der zermürbte Vater. »Alles, was Ihr wollt.«
    1615
    Eines frühen Nachmittags im Oktober 1615 sahen zwei Männer einer Zusammenkunft entgegen. Keiner der beiden wollte dem anderen gerne begegnen. Der eine war Sir Jakob Ducket. Sein Besucher, etwa vierzig Jahre alt, gehörte dem geistlichen Stand an und trug einen dunklen Talar mit schmaler weißer Halskrause, hatte aber dennoch einen Hauch von Eleganz an sich.
    Edmund Meredith hatte sein bestes Alter hinter sich. Seit seinem katastrophal gescheiterten Stück waren fünfzehn Jahre seines Lebens vergangen, aber was hatte er vorzuweisen? Drei weitere Stücke, die niemand aufführen mochte. Um so ärgerlicher, da das Theater mehr in Mode war denn je. König Jakob

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