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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auszusuchen. Sie hatte einen Namen aus der Bibel gewählt. »Nennt ihn Gideon, denn er war ein Streiter des Herrn.« Aber dieses verfluchte Theater. Trotz ihrer Gebete geriet Cuthbert nach all diesen Jahren immer noch auf Abwege. Sie hatte immer seinem Freund Meredith, diesem Weiberhelden, die Schuld daran gegeben, aber schuld war teilweise auch der Bühnenautor Shakespeare, denn er schien die Bewohner Londons mit einem Zauberbann belegt zu haben. Macbeth, Othello, Hamlet – die Massen strömten zu Tausenden ins Globe, und der törichte Cuthbert lief ihnen nach. Shakespeare würde am Tag des Jüngsten Gerichts für einiges Rede und Antwort stehen müssen. Aber Cuthbert konnte gerettet werden, und heute hatte Martha ihre Chance.
    Vor drei Wochen war ihre Großmutter gestorben, so daß sie allein in dem Haus zurückblieb, in dem sie und Cuthbert aufgewachsen waren. Cuthberts Wohnung war klein, seine Familie wurde jedes Jahr größer, und als er und seine Frau vor ein paar Tagen gekommen waren, um zu fragen, ob sie nicht diese größeren Räumlichkeiten teilen könnten, wußte Martha, was sie tun mußte. »Ich kann euch nicht in Großmutters Haus wohnen lassen, wenn ihr weiterhin ins Theater geht«, erklärte sie. »Es ist an der Zeit. Ich helfe euch, einen bösen Zauber zu brechen.«
    Der arme Cuthbert dachte an seine Familie, und als ihm die Bibel hingeschoben wurde, schwor er. Dann ging er wieder, kummervoll, aber gerettet.
    Sir Jakob war erstaunt, wie rasch Julius lernte. Vier seiner Kinder waren im Säuglingsalter gestorben, drei Mädchen und zwei Jungen hatten überlebt. Zwei der Mädchen waren verheiratet, der ältere Junge war mit sechzehn Jahren nach Oxford gegangen. Die Mädchen und der ältere Junge neigten zur Leichtfertigkeit und zur Faulheit, doch an Julius konnte Sir Jakob keinen Fehler finden. »Keine Papisterei!« oder »Gott schütze den König!« rief er mit vier Jahren so laut, daß selbst Sir Jakob belustigt war. Wenn er ausging, genoß er es, Julius dabeizuhaben. Diese Unternehmungen verliefen stets nach demselben Muster. Wenn sie die Gasse hinaufgingen, vorbei an Mary-le-Bow, bogen sie rechts ab nach Cheapside, wie Westcheap nun genannt wurde. Bekleidet mit einem dunklen Umhang und Rock, passenden Beinkleidern und Schuhen mit Silberschnallen, den exakt gestutzten grauen Bart über einer gestärkten weißen Halskrause, einen Stock mit Silberknauf in der Hand, erschien Sir Jakob Ducket stets als das, was er war, als protestantischer Gentleman. Und wie stolz war Julius, nun acht Jahre alt und in Breeches und Rock gekleidet, mit einem großen, weichen Spitzenkragen, wenn er an seiner Seite schritt und die höflichen Verbeugungen der vorbeigehenden Männer entgegennahm. Ihre erste Anlaufstelle war stets die Gildehalle der Seiden- und Textilhändler, der Mercer.
    Die Welt der Londoner Gilden war prachtvoller denn je. Die größten, darunter die Mercer, hatten nicht nur eigene Wappen, sondern auch ihre offiziellen Livreen und waren als Livreegesellschaften bekannt. Wie andere Gilden während der Tudorzeit hatten die Mercer, immer noch an der alten Stelle, wo Thomas Beckets Haus gestanden hatte, einen luxuriösen Bankettsaal erbaut, mit riesigen Eichenbalken an der Decke und vielen Vergoldungen. »Wir waren immer Mercer«, wurde Julius von seinem Vater erinnert.
    Doch ihr eigentliches Ziel, vorbei an Cheapside und der Poultry, ein Stückchen den Cornhill hinauf, war ein Ort, den Julius liebte. Er lag auf dem sanft abfallenden Hang des östlichen Stadthügels, gerade unterhalb der riesigen Stätte, wo vor zwölfhundert Jahren einmal das römische Forum gewesen war.
    Ein großer, quadratischer, gepflasterter Hof, um den sich die Gebäude im Renaissancestil mit offenen Arkaden gruppierten, erbaut unter Elisabeths Herrschaft auf Initiative von Sir Thomas Gresham, einem Seiden- und Textilhändler. Es war die Königliche Warenbörse. Hier wagte Sir Jakob Ducket zu Beginn des Stuart-Zeitalters Spekulationen, von denen seine Vorfahren nicht einmal hätten träumen können.
    Während des ganzen Mittelalters hatten die riesigen Flotten der deutschen Hansestädte die nördlichen Meere beherrscht, und die mächtige Börse von Antwerpen in Flandern war das Zentrum des gesamten nordeuropäischen Handels gewesen. Doch während der vergangenen sechzig Jahre hatten sich gewaltige Veränderungen vollzogen. Mit neuem Selbstbewußtsein hatte die englische Handelsschiffahrt dem Monopol der Hanse solche Einbußen zugefügt,

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