London
daß der Stalhof der Hanse in London schließlich geschlossen worden war, und als die Reformation das protestantische Antwerpen in einen ruinösen Krieg mit seinem katholischen Oberherrscher, dem Haus Habsburg, führte, schnappte sich London einen dicken Brocken des flandrischen Handels. Die neue Königliche Warenbörse, in der sich die Londoner Kaufleute trafen, war eine Nachbildung der großen Börse in Antwerpen.
Doch die eigentliche Veränderung ging tiefer. Die Bulls, Sir Jakobs Vorfahren, stolze Mitglieder der Tuch- und Wollhändler, hatten Wolle und schließlich auch Tuch exportiert. Silber-Ducket hatte bereits mehr Tuch als Wolle ausgeführt. Doch diese alten Gilden waren allmählich reif für den Niedergang. »Das Wachstum muß anderswo herkommen«, hatte Silber-Ducket prophezeit. Eine Gruppe wagemutiger elisabethanischer Unternehmer, zumeist Seiden- und Textilhändler, standen im Zentrum dieser Entwicklung; »Kaufleute und Abenteurer« nannten sie sich selbst. Als Freibeuter wie Francis Drake neue Märkte erschlossen, wurden Reisen und Transporte finanziert; man strebte nach Handelsprivilegien und Verträgen. Einzelne Gruppen erschlossen jeden neuen Markt, doch da ihr Geschäft große Investitionen in der Schiffahrt erforderten, mußte das Risiko aufgeteilt werden. So wurde in London die Kapitalgesellschaft geboren. Die Levantinische Gesellschaft, die Moskauer Gesellschaft, die Guineagesellschaft, die Ostindiengesellschaft – an der Königlichen Warenbörse wurde Julius mit jeder vertraut. Sir Jakob hatte Anteile bei allen. Er erzählte Julius davon oder las dem Jungen manchmal aus den aufregenden Reiseberichten Richard Hakluyts vor. Eines Tages an der Warenbörse, als sein Vater ihn fragte, welches dieser großen Abenteuer er am liebsten mochte, rief Julius begeistert: »Die Virginiagesellschaft.«
Als Sir Walter Raleigh diesem großen amerikanischen Gebiet seinen Namen gegeben hatte, lebten dort lediglich einige Indianer; Versuche, eine Handelsniederlassung zu gründen, scheiterten. Doch in den letzten paar Jahren hatte die Virginiagesellschaft Siedler ausgeschickt, um es noch einmal in der riesigen amerikanischen Ödnis zu versuchen, und Captain John Smith hatte einen eher unsicheren Brückenkopf namens Jamestown gegründet. »Warum Virginia?« fragte Sir Jakob.
Wie konnte der Junge es erklären? War es die romantische Verlockung dieses riesigen unentdeckten Kontinents, die seine Begeisterung angefacht hatte? »Weil es wie Ulster sein wird«, antwortete er, in Erinnerung an einige Dinge, die er seinen Vater hatte sagen hören.
Sir Jakob blickte entzückt auf ihn nieder. Die Besiedlung von Ulster in Nordirland war für ihn eine Quelle des Stolzes. König Jakob hatte beschlossen, in diesem Land unzivilisierter Papisten eine große Kolonie englischer und schottischer Siedler zu gründen. Man hatte zu günstigen Bedingungen Land angeboten und eine Vereinbarung mit den Londoner Gilden getroffen, die in großem Stil investierten, um für spätere Renten und Profite Bauernhöfe auszustatten und die gesamte Stadt Derry neu aufzubauen. Was nun Virginia betraf – waren die unzivilisierten Papisten Irlands und die heidnischen Indianer Amerikas nicht ganz ähnlich? Der König und Sir Jakob drückten sich eindeutig aus: »Virginia soll das Ulster Amerikas sein.«
Einen Monat später fand Julius die Seemannstruhe. Sie stand in einer Ecke des großen Kellers im Haus seines Vaters hinter einigen Tuchballen – eine dunkle alte Truhe, beschlagen mit einem Gitterwerk von Messingbändern, die schon lange schwarz geworden waren, und gesichert mit drei Vorhängeschlössern. Julius vermutete, daß sie sehr alt war.
Die Londoner Warenbörse mochte das Abenteuer des Neuen repräsentieren, doch der Knabe war immer noch von der alten Welt umgeben. In seinem Zuhause gab es die schweren Himmelbetten aus der Zeit König Heinrichs, eine ChaucerAusgabe von Caxton, gedruckt kurz nach den Rosenkriegen, und das noch ältere Tafelsilber aus den Klöstern, das SilberDucket erworben hatte. Sogar die Eichenvertäfelungen und die Eichendecken mit ihren Streben und runden Zierknöpfen, die erst vor zehn Jahren eingebaut worden waren, schienen die Patina eines alten, rauchigen Zeitalters zu tragen. Ebenso war es in Bocton. Die Fassade des alten Sandsteinhauses war zwar in der Tudorzeit mit einer gleichmäßigeren Doppelreihe von Fenstern mit Mittelpfosten neu gestaltet worden, doch die Bauern des Landguts kamen immer noch in den alten
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