London
überrascht, als plötzlich mit einem Knall die Tür aufflog und Gideon mit vier Soldaten hereinmarschiert kam. »Sir Julius«, erklärte er. »Ihr werdet den Richtern hierfür Rede und Antwort stehen.« Das Verbrechen des Baronets bestand nicht im Lesen des Buches, das er gerade noch in die Tasche stecken konnte, sondern darin, daß er mit seiner Familie beim Weihnachtsessen saß.
Das war ein weiteres Gebot der »Heiligen«. »Die großen Feiertage sollen wie der Sonntag gehalten werden«, erklärten sie. »Eine Zeit für feierliches Gebet, nicht für heidnische Feste.« Jedermann, der beim Weihnachtsmahl ertappt wurde, lief Gefahr, vor Gericht angeklagt zu werden. »Ihr habt den heiligen Feiertag entweiht«, sagte Gideon voller Abscheu. »Durchsucht das Haus nach abergläubischen Bildern und Beweisen für Papisterei«, befahl er seinen Soldaten.
Julius konnte nichts dagegen tun. Eine halbe Stunde lang gingen die Rundköpfe von Zimmer zu Zimmer, öffneten Schränke, Truhen, drehten Matratzen um und durchsuchten sogar den Keller, aber sie fanden nichts. Julius hatte keine Angst. Die Strafe für das Weihnachtsessen würde nur eine kleine Geldbuße sein. Wütend über diese Entweihung seines Zuhauses folgte er ihnen jedoch überallhin. Er war in einem der oberen Räume, als er aus dem Fenster blickte und Martha und Jane wartend am Gartentor stehen sah. Martha verstand er. Aber warum Jane? Dann begriff er plötzlich und schrie Gideon an: »Ihr sucht nicht nach papistischen Bildern, nicht wahr? Ihr sucht nach dem Geld der Witwe Wheeler.« Und Gideon errötete.
Als Jane auf dem Markt gesehen hatte, wie Julius' Frau ein großes Rinderbratenstück kaufte, war sie auf den Gedanken gekommen. Sie mußten ein Weihnachtsessen planen. Was für ein perfekter Vorwand; Martha hatte den Rest organisiert.
Als Gideon fertig war, hatte Jane sich davongestohlen, so daß Julius, der Gideon und seinen Männern ans Tor folgte, nur noch Martha vorfand. Über das erträgliche Maß erzürnt, platzte er heraus: »Was für eine gute Freundin Ihr seid, Mistress Martha. Ihr helft Eurer Freundin bei der Suche nach ihrem Schatz und laßt sie mit Eurem Mann schlafen.«
Martha runzelte die Stirn und sah Gideon an. Er war totenbleich.
Im puritanischen London des Commonwealth gab es vieles zu sehen, das die Gläubigen erbaute und sogar inspirierte. Aber nichts konnte der berühmten Predigt im Jahr 1653, bekannt als Meredith' letzte Predigt, gleichkommen.
Edmund Meredith war über achtzig, und man sah es ihm nun an. Seit einer schweren Krankheit im Jahr zuvor war er mager und eingefallen. Vom Tod gezeichnet, zeigte er sich dieser Lage gewachsen. Seine Methode war einfach. Nachdem die Herrschaft der »Heiligen« genau die moralische Bigotterie hervorgerufen hatte, vor der er Jane zu warnen versucht hatte, war eine so große religiöse Verwirrung entstanden, daß nicht einmal er wußte, auf welche Seite er sich schlagen sollte: Presbyterianer, Quäker oder eine andere freie Gemeinde? So hatte er sich über sie gestellt. Je inspirierter und die Seele versengender seine Predigten wurden, desto unmöglicher konnte man sagen, wo er stand. Doch das störte auch keinen. Selbst die strengsten puritanischen Frauen, ganz in Schwarz gekleidet, fühlten sich geneigt, in Ohnmacht zu fallen.
Zu seiner letzten Predigt stieg Meredith nur mit Mühe auf die Kanzel. Mit seinem weißen, schulterlangen Haar und seinen tief eingesunkenen Augen sorgte bereits seine Erscheinung für ehrfürchtiges Schweigen. Sein Thema war wie immer der Tod. Es gab so viele Gelegenheiten dazu: in der Fastenzeit eine Meditation über Christi Tod und Auferstehung; im Advent über den Tod der heidnischen Welt und die Geburt des christlichen Zeitalters. Es gab nichts, in dem man nicht die Saat des Todes entdecken konnte. Als er über seine Gemeinde blickte, sah er die himmlischen Heerscharen auf sich zukommen, und er rief aus: »Denn mein Auge hat Dein Heil gesehen.«
Er war bereit; die Gemeinde konnte es sehen. Es war offenkundig, daß er jeden Augenblick sterben konnte, und diese Möglichkeit machte seine Predigten ungeheuer populär. Im Herbst letzten Jahres hatte er in St. Bride's, St. ClementDanes, St. Margaret's, Westminster und sogar in St. Paul's gepredigt. Er erhob sich auf die Zehenspitzen, als wolle er wirklich fliegen, hob die Arme, wandte sein hageres Gesicht himmelwärts und rief mit bebender Stimme: »Ich sehe Ihn kommen mit all Seinen Engeln; Er ist über uns. Er umklammert
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