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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gehen«, sagte sie am Ende des Monats traurig zu Meredith.
    Es schneite an dem Tag Ende Januar, als Dogget, der zuvor alle ihre Habe auf einem Karren fortgebracht hatte, zusammen mit Jane in eine Fähre stieg und flußabwärts gerudert wurde. Ihr Ziel war eine kleine Siedlung neben Westminster. Vor einem Jahrhundert hatten einige französische Kaufleute dort eine Enklave gebildet, von der aus sie Handel mit den Palästen Westminster und Whitehall treiben konnten. Seither waren diese Straßen als »Klein-Frankreich« bekannt. Man betrachtete den Ort als Zuflucht für Außenseiter, obwohl in jüngster Zeit ein paar Literaten, darunter John Milton, dorthin gezogen waren. »Zumindest könnt ihr dort in Ruhe leben«, hatte Meredith ihnen geraten.
    1660
    In den 1650er Jahren schien Cromwells Herrschaft stabil zu sein. Er hatte den König hingerichtet und seinen Sohn nach Frankreich verjagt. Die Schotten waren eingeschüchtert, die Iren blutig niedergeworfen.
    Aber die Frage der Religion war immer noch nicht entschieden. Außer Bischöfen wurde anscheinend alles toleriert. In St. Lawrence-Silversleeves hatte Meredith sich in der Regel an die presbyterianische Gottesdienstordnung gehalten, war dann aber zu einer Zeremonie mit protestantischen Gebeten und Hymnen übergegangen, die Martha vollkommen billigte. Andere Kirchen verhielten sich ähnlich. Cromwell war in diesen Dingen so tolerant, daß er das Parlament sogar zu einem Gesetz zwang, wonach Juden wieder nach England durften. Seit König Eduard I. sie 1290 verbannt hatte, waren keine mehr im Königreich gewesen. Viele Puritaner, angeführt von ihrem Helden William Prynne, die Juden haßten, protestierten lautstark, doch vergebens. Und kurz darauf entdeckte Julius eine kleine Judengemeinde nahe bei Aldgate. »Sie wollen sogar eine Synagoge bauen«, erzählte er seiner Familie. Julius nahm lediglich eine religiöse Härte wahr; das anglikanische Allgemeine Gebetbuch, das als royalistisch galt, war verboten, und die Londoner durften Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen nur von Verwaltungsbeamten vornehmen lassen. Als Julius' Sohn heiratete, fand sein Vater einen loyalen Geistlichen, der die Zeremonie in seinem Haus zelebrierte.
    Bedeutsamer als all diese Verwirrung war, daß niemand, einschließlich Cromwell, sich entscheiden konnte, wie das Commonwealth regiert werden sollte. Alles wurde ausprobiert. Zuerst sollte das Parlament regieren, doch es war mit nichts einverstanden, stritt sich mit der Armee und weigerte sich, sich selbst aufzulösen. Cromwell warf es hinaus, ebenso wie mehrere Nachfolger in verschiedenen konstitutionellen Experimenten. Cromwell hatte sich bereits zum Protektor gemacht, und was vom Parlament noch übrig war, war der Armee mittlerweile so überdrüssig, daß es ihm vorschlug, unter der alten Verfassung König zu werden. »Dafür haben wir nicht gekämpft!« rief die Armee der »Heiligen«.
    Meredith hielt noch häufig seine letzte Predigt, und als er schließlich starb, tat er es stilvoll. Er hielt die Predigt auf der überdachten Freiluftkanzel St. Paul's Cross, vor Hunderten von Zuhörern; er hatte einen Text aus der Offenbarung des Johannes gewählt und kam gerade zu seinem Crescendo, das hagere Gesicht nach oben gewandt. »Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde«, rief er. »Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel herabkommen. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein!« Da stürzte er von der Kanzel, und er erhob sich nie wieder.
    Trotz seiner Differenzen mit Meredith hatte Julius ihn schließlich toleriert, und nach seinem Tode freundete er sich mit Richard, dem Sohn des Predigers, an. Er war ein kluger junger Mann, hatte in Oxford studiert und wäre gerne Priester geworden, wie er Julius anvertraute, doch als Anglikaner war dies nicht möglich. Statt dessen hatte er Medizin studiert, um sich als Arzt niederzulassen. Er hatte den geheimen Skeptizismus und den wißbegierigen Geist seines Vaters.
    Das einzige Thema, das Julius weiterhin peinlich berührte, war Jane Wheeler. Er hörte, daß Dogget drei Jahre nach ihrem Fortgang gestorben war; und er war sehr froh, daß sie in KleinFrankreich blieb. Und wenn ihn manchmal seine Schuld an Jane quälte, beschwichtigte der Gedanke an seine Treue zu den Söhnen des seligen Königs sein Gewissen. Zusammen mit ein paar anderen Loyalen sandte er weiterhin

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