Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
ihrem Gatten vereint zu sein. Sie wünschte, sie hätte auf Gideons drängende Briefe geachtet und wäre früher gekommen. Aber – am wichtigsten war es, daß im alten England nun doch eine Möglichkeit bestand, den Traum ihres Lebens zu verwirklichen.
    Martha war allmählich etwas enttäuscht von Massachusetts. »In Neu-England ist man ein wenig abtrünnig geworden«, vertraute sie ihrer Freundin Mrs. Wheeler an. Sogar in Boston und Plymouth. »Der Fisch hat die Menschen von Gott abfallen lassen.«
    Der Fangertrag an der Küste Neu-Englands war phantastisch und übertraf die kühnsten Träume der Siedler. Jedes Jahr schickten die Fischer in Massachusetts bis zu einer halben Million Fässer voll Fisch über den Ozean nach England. »Gott hat ihnen einen solchen Überfluß gegeben, daß sie glauben, Ihn nicht mehr zu brauchen«, klagte Martha. Tatsächlich hatten der wachsende Reichtum der Leute an der Küste und die Verheißung von Wohlstand für die Farmer und Trapper, die im Landesinneren große Gebiete absteckten und für sich beanspruchten, sich auf den Glauben der Menschen ausgewirkt, so daß es in der Kolonie kaum eine Kirche gab, die nicht davon betroffen war. »Sie sprechen von Gott, aber sie denken an Geld«, gab Martha traurig zu. Und manche der Fischer machten sich nicht einmal mehr diese Mühe. Martha konnte es nie vergessen, wie sich der älteste Sohn Doggets, nun ein wohlhabender Kapitän, gegen sie gewandt und gerufen hatte: »Verdammt, Weib, ich bin hergekommen, um zu fischen, nicht um zu beten!« Protestantismus und Geld gingen in Neu-England von nun an Hand in Hand.
    Martha war verunsichert, als sie vor drei Jahren Gideons drängende Rufe erhalten hatte. Nach dem Tode des Königs, versprach er, würden Cromwells »Heilige« eine neue Ordnung aufbauen, die ihrer würdig war. »Wir brauchen Dich hier«, schrieb er. »Und auch Dein Mann braucht dringend Deine moralische Führung.« Anderthalb Jahre lang hatte sie gezögert, bevor sie sich schließlich zur Rückkehr entschloß. Mit ihr kamen Doggets jüngerer Sohn, dem es nicht gelungen war, in Massachusetts das Bürgerrecht zu erhalten, und der in London sein Glück versuchen wollte, und ihre eigene Tochter.
    Das England, das sie erwartete, war ein ungewohntes Land. Nach der Hinrichtung des Königs hatte sich die Verfassung abrupt geändert. Das House of Lords wurde abgeschafft. England hieß nicht länger Königreich, sondern das Commonwealth of England, regiert vom House of Commons. Cromwell, der große General des neues Staates, wurde jedes Jahr mächtiger. Als der älteste Sohn Karls I. Karl II. versuchte, mit einer schottischen Armee in sein englisches Königreich einzumarschieren, erlitt er eine vernichtende Niederlage und lebte nun im Ausland. Auch die aufständischen Iren hatte Cromwell niedergeworfen und vollkommen unterjocht. Sogar die Levellers in seiner eigenen Armee waren gefügig gemacht worden. Im Commonwealth of England herrschte Ordnung, das Land war bereit, das Gesetz Gottes zu empfangen.
    Natürlich gab es viel zu tun; die leuchtende Stadt konnte nicht an einem Tag erbaut werden. In Marthas Augen hatte Cromwell eine Schwäche: seine religiöse Toleranz. Daher blieb in den Londoner Kirchen einiges an Durcheinander bestehen.
    Die Herrschaft der »Heiligen« erstaunte sie; nie zuvor hatte die alte Stadt so etwas gesehen. Die Veränderungen wurden von einer tatkräftigen Minderheit durchgesetzt; diese wenigen Gottesfürchtigen genossen jedoch breite Unterstützung. Der Sonntag wurde strikt eingehalten; kein Sport war erlaubt, selbst ein Spaziergang, es sei denn zur Kirche, wurde mißbilligt; Maibäume waren verboten. Die Gerichte verschafften dem Moralkodex nachdrücklich Geltung, indem sie strenge Strafen für grobe Unmoral und Geldbußen für kleinere Übertretungen verhängten. Das Allerbeste für Martha war, daß die Schauspielhäuser, die man zu Beginn des Bürgerkrieges geschlossen hatte, nun vernagelt wurden und der Befehl erging, sie nie wieder zu öffnen.
    Und wie gesegnet war sie, dachte Martha, daß ihre eigene Familie so gesund und gottesfürchtig war. Gideons Kinder waren nun alle verheiratet, sogar Perseverance hatte einen würdigen, wenn auch schweigsamen Gatten gefunden. O Be Joyful würde ein vortrefflicher Holzschnitzer sein.
    Was sie ein wenig verwirrte, war das Wohlergehen ihres Gatten. Gideon hatte so eindringlich geschrieben, daß Dogget ihre moralische Führung brauche, daß sie ihn am Tag nach ihrer Rückkehr

Weitere Kostenlose Bücher