London
mein Herz und das eure. Er ist hier. Jetzt!«
Bei diesen Worten ließ er sich zurückfallen, bevor er wieder die Treppe hinuntertaumelte und sich von zwei Helfern zu seinem Sitz führen ließ.
Meredith' letzte Predigt war die beste, die er je gehalten hatte. Daher war er ein wenig überrascht, als er sah, daß zwei aus der Gemeinde, Martha und Gideon, sich schon zu Beginn leise davonstahlen.
Jane und Dogget lagen zusammen in ihrem Bett, als plötzlich die Tür aufging und sie sich Martha gegenübersahen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis Martha aus Gideon die Wahrheit herausbekam. Einmal direkt darauf angesprochen, hatte er nicht lügen können. »Ich weiß es nicht«, hatte er sich verteidigt, »aber ich glaube, es stimmt.«
Nun hatte sie Gideon und noch eine Nachbarin bei sich. »Ich brauche einen Beweis«, hatte sie zu Gideon gesagt. Und hier war der Beweis. Die Nachbarin sah schockiert aus, Gideon verlegen. Marthas Gesicht war angespannt und weiß. Als sie es gesehen hatte, drehte sie sich um und ging. Als Meredith eine Stunde später Janes Bericht hörte, sah er grimmig drein. »Genau das habe ich immer befürchtet. Verflucht sollen diese ›Heiligen‹ mit ihren Moralpredigten und ihren Hexenjagden sein. Nun seid ihr des Ehebruchs überführt. Und auf Ehebruch steht die Todesstrafe.«
Der Prozeß gegen Jane und Dogget fand in der Guildhall statt. Der Gerichtssaal war zum Bersten voll, und selbst bei den braven Puritanern spürten manche müde Belustigung über das Alter der Beschuldigten. Doch wohl kaum einer begriff die tiefere Ironie der Sache. Daß hier vor einem strengen Richter und einer Jury von zwölf Bürgern eine Frau an der Schwelle zum Alter stand, die über ein Jahrzehnt von ihrem Mann getrennt gewesen war und eine andere, noch ältere Frau anklagte, weil sie etwas mit ihrem Mann getan hatte, was sie selbst in Wahrheit gar nicht tun wollte. Warum? Weil man sie zum Narren gemacht hatte; weil sie eifersüchtig war, daß die beiden sich liebten; weil ihr Gott ein rachsüchtiger Gott war.
Der Beweis war unwiderlegbar. Das Verbrechen war gesehen worden; die Zeugen waren verläßlich. Auf den Rat eines Anwalts, den Meredith gefunden hatte, plädierten die Angeklagten auf nicht schuldig. Die Zeugen, sagten sie, hätten die Situation mißverstanden; es habe keinen fleischlichen Akt gegeben. Aber nicht eine Menschenseele im Gerichtssaal glaubte diese offenkundige Lüge. Jedermann wußte, was die Strafe für ihr Vergehen sein mußte. Im Gericht wurde es still, als der Richter die Jury belehrte. Nach nur wenigen Minuten gaben die zwölf Männer zu verstehen, daß sie bereit waren. Feierlich stand der Obmann vor dem Richter, um die Frage zu beantworten. »Nicht schuldig, Mylord«, erklang dann deutlich die Antwort.
Martha erhob sich bebend vor Wut. »Nicht schuldig? Natürlich sind sie schuldig.«
»Ruhe!« donnerte der Richter. »Die Jury hat gesprochen.« Er nickte Jane und Dogget zu. »Ihr seid frei zu gehen.«
»Das ist eine Ungeheuerlichkeit!« rief Martha. Aber niemand hörte zu.
Der Urteilsspruch war genau so ausgefallen, wie der Richter erwartet hatte. Die »Heiligen« hatten in ihrem Eifer zwar strenge, alttestamentarische Gesetze verabschiedet, aber sie hatten eines übersehen: Die Verfahren mußten immer noch vor englischen Geschworenen abgehalten werden. Und die gewöhnlichen Bürger hatten ihre Menschlichkeit nicht ganz verloren. Der Gedanke, einen Mann und eine Frau wegen Ehebruchs zu hängen, wie sehr sie das Betragen der Schuldigen auch mißbilligen mochten, verletzte ihren Gerechtigkeitssinn, und daher weigerten sie sich, sie schuldig zu sprechen. In den dreiundzwanzig bekannten Fällen in London, die vor Gericht gebracht worden waren, wurde nur einmal eine Verurteilung ausgesprochen. Doch die Schwäche der Geschworenen bedeutete nicht, daß das schuldige Paar ganz straflos ausging, denn da war immer noch die Gemeinde. »Ihr könnt nicht im Kirchspiel bleiben«, erklärte Meredith den beiden. Und das bewahrheitete sich rasch.
Dogget wurde das Leben unerträglich gemacht. Seine beiden Kinder kannten ihn kaum und folgten Marthas Vorbild. Keiner sprach mit ihm. Für Jane war es noch schlimmer. »Hure!« wurde gerufen, sobald sie auf die Straße trat. Der Mann am Ende der Straße brachte ihr kein Feuerholz mehr; der Wasserträger blieb nicht mehr für sie stehen. Die Händler an den Ständen in Cheapside ignorierten sie, wenn sie etwas zu kaufen versuchte. »Du hast recht, wir müssen
Weitere Kostenlose Bücher