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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Schwester, die ins französische Königshaus geheiratet hatte, aber Karl wußte sehr gut, daß viele seiner Untertanen Puritaner waren. Man kam schließlich zu einer ähnlichen Regelung wie unter Königin Elisabeth – jeder mußte zur anglikanischen Kirche mit ihren Zeremonien und ihren Bischöfen konform sein. Andernfalls hatte man gewisse Einschränkungen zu ertragen und wurde von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, aber das war alles. Die Botschaft des Königs war klar: »Seid königstreu. Alles andere – Kanzel oder Kurzweil – ist eure Sache.« So sahen der königliche Hof und die Regeln jenes Zeitalters aus, das man Restauration nannte.
    Dem König, der als der »heitere Herrscher« in die Geschichte eingehen sollte, stand der Sinn nicht nach Rache. Ein oder zwei Mörder seines Vaters mußten hingerichtet werden. Oliver Cromwells Leichnam wurde ausgegraben und in Tyburn am Galgen aufgehängt. Ansonsten machte Karl keinen Versuch, seine Feinde zu verfolgen; seiner Freunde gedachte er jedoch nachdrücklich – nicht zuletzt Sir Julius Ducket.
    »Das Parlament gestattet mir nicht, Euch Bocton zurückzukaufen«, entschuldigte er sich. »Aber ich kann Euch eine lebenslange Staatsrente geben.« Die Rente war großzügig. Julius konnte nun zudem den Rest des Schatzes ausgeben und in großem Umfang an der Börse handeln. Schließlich konnte er Bocton zurückkaufen, zu einem geringen Preis, da das Haus in einem traurigen Zustand war. Innerhalb weniger Monate brachte er den Besitz wieder in Ordnung.
    Ganz England schien in zuversichtlicher Aufbruchsstimmung. Der Handel nahm zu, aus den Kolonien kamen reiche Gewinne. Selbst die Heirat des Königs mit einer Katholikin wurde recht nachsichtig gebilligt, da sie als Mitgift den reichen indischen Handelshafen Bombay mitbrachte. Englands Vorherrschaft auf dem Meer wurde immer stärker. Im vorigen Jahr waren seine Handelskonkurrenten, die Holländer, aus mehreren Kolonien vertrieben worden, auch aus einer vielversprechenden Ansiedlung in Amerika. NeuAmsterdam hatte sie geheißen, das englische Flottengeschwader nannte sie New York. Nach Sir Julius Duckets Meinung war es England nie besser gegangen.
    Ned stand auf und knurrte. Das Ungeheuer kam weiter die Straße herunter. Eine solche Kreatur hatte Ned noch nie in seinem Leben gesehen. Das Ungeheuer war groß wie ein Mann und bestand aus gewachstem Leder. Sein Körper war wie ein riesiger Kegel geformt, der unten den Boden berührte; in der Hand hielt es einen kurzen Stock. Am furchteinflößendsten war der Kopf der Kreatur. Zwischen zwei riesigen Glasaugen saß ein großer Lederschnabel. Auf dem Kopf trug das Ungeheuer einen schwarzen, breitkrempigen Lederhut. Ned knurrte und wich zurück. Doch das Ungeheuer hatte ihn gesehen und kam geradewegs auf ihn zu.
    Doktor Richard Meredith war bis vor einer Stunde der glücklichste Mann in ganz London gewesen. Es war eine große Ehre, die man ihm am Tag zuvor erwiesen hatte, vor allem wenn man seine Jugend in Betracht zog, und daher hatte er am Morgen mit schwungvollem Schritt das Haus verlassen. Bis man ihm in der Guildhall das Dokument gezeigt hatte.
    Hätte die Restaurationszeit ein paar Jahre früher begonnen, wäre er vielleicht Geistlicher gewesen. Doch ein Puritanerprediger wollte er nicht sein, und sein Vater hatte ihn gewarnt: »Sieh dir an, was ich tun muß, um zu überleben.« Daher wurde er Arzt, eine andere Art, seinen Mitmenschen zu dienen.
    Und es kam seinem Intellekt entgegen, denn sein Geist war wißbegierig und analytisch.
    Die damalige Medizin war noch sehr primitiv – eine Mischung aus antikem Wissen und mittelalterlichem Aberglauben. Die Ärzte glaubten an die vier Körpersäfte; sie setzten Blutegel an und ließen ihre Patienten zur Ader, weil sie meinten, ihr Blut müsse verdünnt werden. Außerdem benutzten sie traditionelle Heilkräuter – manche davon wirksam – und hielten sich an den gesunden Menschenverstand und an das Gebet. In manchen Fällen sah man das Übernatürliche als normale Kur an; kein Arzt mißbilligte die Schlangen von Skrofulosekranken, die geduldig am König vorbeimarschierten, dessen Berührung diese Krankheit heilen konnte, wie man glaubte. Die Naturwissenschaften waren auf einem ähnlichen Stand. Gebildete Männer disputierten immer noch, ob das Horn von Einhörnern magische Eigenschaften habe. Erst in den letzten Jahrzehnten hatte sich immer stärker ein neuer Sinn für rationale Untersuchungen herausgebildet. Der geniale Forscher

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