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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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maßlosen Wut, sah er, wie etwa hundert Meter weiter die Pall Mall hinunter eine Kutsche vor ihm hielt. Ein alter Mann stieg aus und ging langsam auf eines der vornehmen Häuser zu. Bevor er die Eingangsstufen erreichte, drehte er sich um, und die beiden Männer erkannten einander.
    Neun Jahre war es her, seit Julius zum Earl of St. James gemacht worden war, und im Alter von fünfundachtzig Jahren hatte er nur wenig zu klagen. Er ging gebückt, seine Augen tränten ein wenig, wegen eines arthritischen Beins mußte er am Stock gehen, doch er hatte dieselbe steife Würde, die schon das Kennzeichen seines Vaters, des Alderman Ducket, gewesen war. Als er nun auf Carpenter blickte, lächelte er ihn mit vager, gleichgültiger Neugier an.
    O Be Joyful sah etwas anderes. Er sah den Verfolger seiner Familie, den verhaßten Royalisten, den Dieb, der sich die Earlswürde angeeignet hatte, indem er für einen katholischen König stimmte. Sicher war er an diesem papistischen Komplott beteiligt. Und das schlimmste von allem: Geschützt durch Reichtum und Titel grinste der üble alte Schurke ihn nun an, weil er dachte, er sei straflos davongekommen.
    Carpenter rannte auf ihn zu. »Alter Teufel! Ihr glaubt, Ihr habt uns alle hinters Licht geführt. Aber nein. Ich weiß es, versteht Ihr? Ich habe Eure Priester im Palast belauscht. Ich weiß alles über Euer papistisches Komplott. Und in einer Stunde werden der Mayor und ganz London es auch wissen. Und dann, Mylord, werden wir Euch und den König und alle Pfaffen zusammen aufknüpfen!« Er eilte davon.
    Lord St. James brauchte einige Sekunden, um sich von dieser Verbalattacke zu erholen, doch dann kletterte er zurück in seine Kutsche. »Fahrt wie der Wind!« bellte er dem Kutscher zu.
    Zwanzig Minuten später sah O Be Joyful, der die Fleet Street in Richtung St. Bride's entlangeilte, Meredith auf sich zukommen.
    »Was ist los, Master Carpenter? Ihr seht aus, als hättet Ihr den Teufel persönlich gesehen.«
    O Be Joyful war froh, dem Geistlichen zu begegnen. Trotz seiner Wut und Entschlossenheit war die Aussicht, dem LordMayor gegenüberzutreten, eher einschüchternd. Er hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen, als er Lord St. James alles ins Gesicht geschrien hatte, doch er wußte immer noch nicht, wie er den Mayor dazu bringen sollte, ihm zu glauben. Würde Meredith ihn begleiten, wäre das eine ganz andere Sache.
    »Es ist etwas Entsetzliches im Gange…«, begann er.
    »Kommt in die Kirche«, schlug Meredith vor. »Hier ist es ruhiger.«
    O Be Joyful erzählte dem erstaunten Meredith, was er gehört hatte. »Folgt mir nach«, forderte Meredith ihn auf, als er geendet hatte. »Ich muß Euch etwas zeigen.« Er führte ihn zu einer schweren Tür, hinter der die Stufen zur Krypta lagen, zündete eine Lampe an, gab sie Carpenter und bat ihn voranzugehen. Als der Handwerker fast unten war, drehte Meredith den Schlüssel um, so wie Lord St. James es ihn geheißen hatte, und ließ O Be Joyful als Gefangenen zurück.
    »Glaubt Ihr ihm?« fragte Lord St. James, als er mit Meredith im Wohnzimmer des Pfarrhauses saß.
    »Ich bin sicher, er glaubt, daß es wahr ist.«
    »Könnt Ihr ihn hierbehalten?«
    »Der arme Kerl könnte sich unten in der Krypta die Seele aus dem Leib schreien, und niemand würde ihn hören. Aber glaubt Ihr wirklich, daß es nötig ist?«
    »Nur für heute. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.« Der alte Mann erhob sich.
    Während die Stunden verstrichen, wurde es Julius klar, daß es nicht einfach war zu entscheiden, was man unternehmen sollte. Er war sicher, daß man dem Handwerker glauben würde, wenn er seine Geschichte von einer neuen papistischen Verschwörung in London verbreitete, und mit Richter Jeffreys im Amt könnte Carpenter von Glück reden, wenn er mit dem Leben davonkam.
    Ich war schuld, daß sein Vater Gideon ausgepeitscht wurde, dachte er. Ich kann nicht danebenstehen und zusehen, wie sein Sohn etwas noch Schlimmeres erleidet. Deshalb hatte er an diesem Nachmittag seine Kutsche in solchem Tempo zur Kirche St. Bride's gejagt in der Hoffnung, Meredith könne den Holzschnitzer davon abhalten, eine Dummheit zu begehen.
    Konnte es sein, daß dieser französische Jesuit aus irgendeinem Grund gelogen hatte? Gut, Jakob war katholisch, aber hatte Karl II. wirklich all diese Jahre seine treuen Gefolgsmänner betrogen? Hatte er wirklich versprochen, daß er England an Rom ausliefern würde? Eine undenkbare Vorstellung, ein unerträglicher Verrat. In dieser Nacht

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