London
konnte Lord St. James nicht schlafen. Konnte sein König, an den er durch seinen geheiligten Eid gebunden war, wirklich so etwas getan haben? Konnte sein eigener Glaube durch so eine närrische Geschichte, die einer der verfluchten Carpenters erzählte, erschüttert werden? Wie kam es, daß er in seinem Herzen nun eher O Be Joyful glaubte als seinem König? Die Antwort kam aus der Erfahrung eines langen Lebens. Die Loyalität der Stuarts hatte zumeist außerhalb Englands gelegen. Und die Stuarts – ja, um ehrlich zu sein, auch der König, der den Märtyrertod gestorben war – waren fast immer Lügner gewesen.
Am Sonntag morgen wußte Lord St. James immer noch nicht, was er wegen Carpenter unternehmen sollte. Am Vormittag ging er in die Kirche und hörte die Predigt. Als er zurückkam, fand er ein höfliches Briefchen von Meredith, das ihn daran erinnerte, daß sie O Be Joyful nicht auf ewig gefangenhalten konnten. »Zumindest sollte ich dem armen Kerl ein wenig Wasser geben – und eine Erklärung«, endete Meredith.
Kurz nach Mittag erhielt Lord St. James eine Nachricht, die alles veränderte.
»Seid Ihr sicher?« fragte Meredith, als Julius es ihm mitteilte.
»Es ist die offizielle Nachricht. Die Frage ist – ist das möglich? Was würdet Ihr als Arzt dazu sagen?«
»Es ist über einen Monat zu früh. Ihr sagt, es ist gesund?«
»›Bonnie‹, soll die schottische Amme geschwärmt haben. Ein pausbäckiges Kerlchen.«
»Es klingt unwahrscheinlich. Vorher hatte sie immer nur Fehlgeburten, und der König ist, nun ja… nicht gesund. Daß er gerade jetzt einen kräftigen Sohn haben soll, scheint mir… sehr gelegen zu kommen.«
O Be Joyful hatte keinerlei Ahnung, was für eine Tageszeit es war, als die Tür über ihm geöffnet wurde. Als er schwach zum Licht hinaufkletterte, sah er keine Soldaten, sondern Meredith und Lord St. James, die ihn anlächelten.
»Es tut mir leid, daß wir Euch hier einsperren mußten«, entschuldigte sich Meredith. »Es war um Euer eigenen Sicherheit willen. Wir glauben jedes Wort, das Ihr gesagt habt. Und nun möchte ich, daß Ihr mit Lord St. James geht. Zwingen können wir Euch nicht, aber ich glaube, es wäre das beste. In einer Woche seid Ihr wieder zurück.«
Verwirrt blinzelte Carpenter sie an. »Wohin?«
»Nach Holland«, erwiderte Lord St. James. »Ich will Wilhelm von Oranien aufsuchen.«
Die Ereignisse des Sommers 1688 markierten einen Wendepunkt in der englischen Geschichte, aber die Bezeichnung »Glorreiche Revolution« ist eher irreführend. Es gab weder eine Revolution, noch war an der ganzen Sache irgend etwas Glorreiches.
Als König Jakob am Samstag, den 10. Juni, der erstaunten Welt bekanntgab, daß seine Gattin endlich einen Sohn und Erben geboren hatte, stürzten königstreue Engländer in ein Dilemma. Blieb das Kind am Leben, war es der Thronerbe. Und zweifellos würde es katholisch sein. »Aber wir haben Jakob nur hingenommen, weil wir wußten, daß wir danach Wilhelm und Maria bekommen würden«, erklärten gute Protestanten. Einige der besorgteren Protestanten hatten sich schon vor einiger Zeit an Wilhelm von Oranien gewandt und ihn gebeten, er möge seinen Schwiegervater zumindest drängen, seine papistische Haltung zu mäßigen – doch der vorsichtige Holländer hatte es vorgezogen, sich nicht einzumischen. Dieser Säugling veränderte nun alles.
Für Lord St. James war die Nachricht ein Schlag. Für die weniger Königstreuen war es ein Ruf zu den Waffen. Die Whigs waren empört; die Tories – die gerade erlebt hatten, daß man sieben ihrer anglikanischen Bischöfe in den Tower geworfen hatte – waren zutiefst beunruhigt. Außer St. James machten sich noch andere nach Holland auf. Ende des Monats sandte einer der größten Männer des Landes eine Einladung an Wilhelm: »Wenn Ihr Euer Königreich England wollt, so solltet Ihr kommen und es nehmen.«
Wie konnte Julius so treulos werden und seinen Eid auf den König brechen, der ihn sogar zum Earl gemacht hatte? Der zweite bindende Befehl, den er vor achtzig Jahren von seinem Vater erhalten hatte, erwies sich stärker als alles andere: »Keine Papisterei!«
Wirklich erstaunt war das englische Volk, daß dieses Kind – katholisch und königlich – überhaupt geboren worden war. Ein gesunder Knabe nach all diesen Fehlgeburten? Über einen Monat zu früh? »Ich sage Euch, was ich meine«, vertraute Lord St James O Be Joyful an, als ihr Schiff die lange Themsemündung hinunterfuhr. »Ich glaube, die
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