Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
und Satiren nach dem Stil des augusteischen Rom. Ein Zeitalter der Vernunft, in dem die Menschen danach strebten, dieselbe zurückhaltende Würde und denselben Sinn für Ebenmaß zu erreichen wie die georgianischen Plätze, an denen sie wohnten. Vor allem aber war es ein Zeitalter der Eleganz. Und Eleganz war alles am Hanover Square, Hausnummer siebzehn.
    Um ein Uhr überdachte Lady St. James ihre Pläne. Der Friseur Balthazar war gekommen. Seine Arbeit würde eine Stunde dauern, daher hatte sie die Zofe nach unten gehen lassen, damit sie mit den anderen weiblichen Dienstboten essen konnte. Die Frisur, die sich Balthazar für heute ausgedacht hatte, würde ihr Haar dreißig Zentimeter über ihren Kopf auftürmen, gekrönt von einem fest gedrehten Knoten und einem kleinen Perlendiadem, das zu der Perlenkette paßte, die sie um den Hals tragen wollte.
    Neben ihr, auf einem vergoldeten französischen Sofa, war ihr Kleid ausgebreitet. Es war aus steifem Seidenbrokat mit einem prachtvollen Muster, ein dunkler Wald aus Blumen, hergestellt von den hugenottischen Seidenwebern in Spitalfields. Vor ihrem Rendezvous mußte Lady St. James zu einer Dinnerparty, dann zu einer Gesellschaft. Die vornehme Welt war ein unablässiger Reigen, und wer wie Lady St. James überallhin eingeladen wurde, hatte die Pflicht, sich sehen zu lassen. Die prächtigen Plätze und Häuser mußten belebt werden; die elegante Vorführung duldete keine Unterbrechung.
    Doch danach, heute abend… Sie glaubte, daß sie den Dienstboten trauen konnte, und war stolz darauf, wie raffiniert sie in dieser Beziehung gewesen war. Normalerweise stellte der Hausherr das Personal ein, aber zu Beginn ihrer Ehe hatte sie Lord St. James davon überzeugt, er habe zuwenig Zeit dazu, und daher schuldeten ihr sowohl der Butler als auch die Haushälterin Loyalität. Die beiden Diener gehorchten dem Butler, aber sie bemühte sich auch, sie bei Laune zu halten, und den Mädchen schenkte sie Geld und Kleider. Köchin, Konditor und Kutscher waren Dienstboten ihres Mannes, aber beide Pferdeknechte waren in sie verliebt, weil sie ihnen manchmal ein wenig den Hals tätschelte, wenn sie ihr den Steigbügel hielten.
    Wenn also an diesem Abend eine gewisse Person diskret das Haus betrat, während Seine Lordschaft fort war, und ins Zimmer Ihrer Ladyschaft ging, das Seine Lordschaft ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis nicht betreten durfte – »Das ist das einzige, die einzige Höflichkeit, um die ich bitte«, hatte sie einmal melodramatisch gesagt –, konnte sie sicher sein, daß niemand durch Schlüssellöcher spähte oder auf Gängen lauschte.
    Mehrere Minuten verstrichen, während Balthazar an ihrem Haar arbeitete. Nachdem sie ihre Pläne noch einmal durchdacht hatte, ließ sie ihren Blick zu einer Gestalt schweifen, die neben ihr saß. Er saß still auf einem kleinen Stuhl, immer in ihrer Reichweite, falls es sie belustigen sollte, ihn zur Kenntnis zu nehmen, was sie nun tat, indem sie ihm über den Kopf streichelte. Ein elfjähriger Junge mit rundem Gesicht, wie die Diener mit einem roten Rock bekleidet, sah sie aus großen, anbetungsvollen Augen an. Er hieß Pedro und war schwarz. Kein vornehmer Haushalt war vollständig ohne so ein hübsches, dunkelhäutiges Spielzeug. Pedro war Sklave.
    Vor hundert Jahren war ein Schwarzer in London ein Gegenstand der Neugier, doch nun nicht mehr, dafür hatten die britischen Kolonien gesorgt. Nahezu fünfzigtausend Sklaven wurden jedes Jahr von Afrika verschifft, um auf den Zuckerplantagen Westindiens und den Tabakpflanzungen Virginias zu arbeiten, und sogar das puritanische Massachusetts war an dem Handel beteiligt. Solche Seetransporte gingen oft über England, und obwohl Bristol und Liverpool die größten Häfen für Sklavenschiffe waren, kam fast ein Viertel nach London, wo Negerjungen gerne als Spielzeug und Diener gekauft wurden.
    Formal war Pedro ein Sklave, aber er lebte zusammen mit der Dienerschaft, und die Diener eines adligen Hauses lebten außerordentlich gut. Fein gekleidet, gut untergebracht, gut ernährt und einigermaßen gut bezahlt, stellten sie eine Elite dar. Vor allem Dienern ging es gut, da sie oft an andere ausgeliehen wurden. Die dichten Reihen von Lakaien bei einer Gesellschaft, selbst in großen herzoglichen Haushalten, waren zum größten Teil von adligen Freunden ausgeliehen; und Trinkgelder waren manchmal großzügig. Ein Diener in London, der sich beliebt zu machen verstand, konnte im Laufe der Zeit

Weitere Kostenlose Bücher