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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Schreibweise zu dem zwar unwahrscheinlichen, aber französisch aussehenden de Quette. Ihren Freunden erzählte sie, das sei die ältere Form des Namens, der mit der Zeit verfälscht worden sei; und bald war allgemein anerkannt, daß der Familienname des Earls aus der Zeit der normannischen Eroberung stamme. Manche Vorfahren werden geboren, andere werden gemacht; die de Quettes waren nicht die einzigen, die ihren Namen ein wenig frisierten. »Obwohl man ihn ausspricht wie Ducket«, erklärte sie. Das war das letzte Mal, dachte sie traurig, daß er wirklich versucht hatte, sie zufriedenzustellen.
    »Diese Rechnungen sind hoch, Madam.«
    »Stecken wir in Schwierigkeiten?« fragte sie unschuldig. »Bitte sagen Sie mir nicht, Mylord, daß wir ruiniert sind.«
    »Nicht ganz«, erwiderte er trocken. Er wußte, daß sie argwöhnte, er sei reicher, als er zugab, und tatsächlich vergrößerten der blühende Kolonialhandel und verbesserte Anbaumethoden Jahr für Jahr sein bereits hohes Einkommen. Selbst die Kosten des Londoner Hauses wurden verringert, da der größte Teil des Fleisches und der Bodenerzeugnisse einmal wöchentlich von dem Landsitz in Kent gebracht wurden. »Wenn wir nicht ruiniert sind, so deshalb, weil ich im Rahmen meines Einkommens lebe«, erklärte er stets. »Madam, ich habe hier Rechnungen von Händlern, die sich auf dreihundert Pfund belaufen.«
    »Vielleicht müssen wir sie nicht alle bezahlen«, schlug Lady St. James vor.
    Lord St. James begann sie aufzuzählen. Hutmacher, Modistin, der Teehändler Twining, Schuhmacher, Schneiderin, zwei Parfumhändler, der Bäcker Fleming und sogar ein Buchhändler.
    »Die Schneiderin muß bezahlt werden«, bestimmte sie; sie würde nie wieder eine so gute finden. Doch die Rechnung des Bäckers verärgerte sie. Sie hatte eine große Gesellschaft gegeben und beschlossen, den Saal mit Kuchen zu dekorieren, doch das war kein Erfolg gewesen. »Geben Sie mir die Rechnung des Bäckers«, rief sie. »Ich werde sie dem Kerl in den Rachen stopfen.«
    »Ich möchte noch eine andere Sache besprechen, Madam. Die Familie de Quette. Ich bin der dritte Earl, und ich habe immer noch keinen Erben. Etwas muß getan werden. Wann, Madam?«
    »Bald. Im Moment ist so viel zu tun. Werden wir im Sommer nicht in Bocton sein?« Sie brachte ein Lächeln zustande. »In Bocton, William.« Doch obwohl Lady St. James lächelte, fiel es ihr schwer, selbst das bißchen Ermutigung auszustrahlen, das in ihrem eigenen Interesse nötig war. Eine Frau mochte ihrem Mann ausweichen, konnte sich ihm aber nicht absolut verweigern. Lord St. James sah ganz gut aus, aber sie begehrte Jack Meredith. Und solange der in London war, fand sie ihren Ehemann unerträglich.
    »Sie haben mir schon einmal einen Erben geschenkt«, erinnerte er sie.
    »Ich weiß. Der arme kleine George.«
    Das war eine Tabuzone, etwas, über das sonst nicht gesprochen wurde. Der Tod des Säuglings vor sieben Jahren. Selbst jetzt kannte St. James nicht die Wahrheit, und für Ihre Ladyschaft, die damals völlig am Boden zerstört war, war dies das Thema, über das nie gesprochen werden durfte. Lord St. James hatte soeben diese Regel gebrochen. »Bis zum Sommer ist es noch lange«, sagte er schroff und zog sich zurück.
    Lady St. James blieb allein sitzen und dachte an diese furchtbare Nacht vor sieben Jahren. Die Geburt hatte lange gedauert, und danach lag sie erschöpft da, froh, daß es vorbei war. Sie war nicht gerne schwanger gewesen; schrecklich, so dick und plump zu sein. Doch dann hatte sie zumindest das Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Das Kind war ein Junge; nach seinem Großvater sollte er George genannt werden. Für sie zählte vor allem, daß er Erbe eines Earls war, der vom Augenblick seiner Geburt an einen Titel trug: der kleine Lord Bocton. Als sie das Kind schreien hörte, hatte sie der Kinderschwester gesagt, sie solle es ihr bringen. Lächelnd hatte sie den Säugling hochgehalten, um ihn im Kerzenlicht zu betrachten. Und dann hatte sie ein entsetztes Gesicht gezogen.
    Sie hatte erwartet, das Kind werde hübsch sein, zumindest blond, wie die Eltern, doch das kleine Geschöpf hatte dunkles Haar und eine weiße Strähne in der Mitte. Und als sie die winzige Faust des Babys öffnete, schrie sie auf. Das Kind hatte feine Schwimmhäute zwischen den Fingern.
    »Das ist nicht meines!« hatte sie gekreischt. »Sie haben mir ein anderes Kind gebracht.«
    »Nein, Ihre Ladyschaft«, beteuerte die Kinderschwester. »Es ist

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