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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wahrscheinlich genug sparen, um ein eigenes Geschäft anzufangen. Darum hoffte auch Pedro, daß ihn Lady St. James vielleicht eines Tages freilassen und er es zu Wohlstand bringen würde; schwarze Butler oder Ladeninhaber waren nicht ungewöhnlich.
    Lady St. James glaubte, daß alles und jeder in London zu kaufen war. Sklaven konnte man kaufen, schöne Häuser, Mode, gesellschaftliche Stellung – im georgianischen London vermengte sich altes Geld mit neuem. Selbst der Titel ihres Mannes war wie so viele andere einst gekauft worden. Die Stimmen zahlreicher Mitglieder des House of Commons wurden tagtäglich gekauft, versicherte ihr Gatte. Nur eine gewisse Person war anscheinend nicht käuflich: Captain Jack Meredith. Sie wünschte, sie könnte ihn kaufen, um ihn für sich zu haben.
    Ihre Gedanken wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Als Pedro öffnete, trat ihr Mann ein.
    Der dritte Earl of St. James war nicht sehr guter Laune. Mit einer Geste entließ er Pedro und Balthazar; in der anderen Hand hielt er einen Stapel Rechnungen. Er sah weder gut noch schlecht aus. Er war nach seiner blonden, auf konventionelle Art hübschen Mutter geraten, und man konnte nur sagen, daß er langweilig aussah. Dumm war er keineswegs; seine Investitionen waren zwar vorsichtig, aber klug, der Landsitz in Bocton wurde gut geführt, und er war aktives Mitglied im House of Lords, auf der Seite der Whigs. Er hatte seine gepuderte Perücke auf und trug einen reichbestickten blauen Rock, zwischen dessen Schößen er den Ansatz eines respektablen Embonpoints zeigte. Noch zehn Jahre, und Lord St. James, nun Anfang Vierzig, würde vermutlich beeindruckend aussehen. Er hatte schöne, stets gut manikürte Hände, doch das Bündel Rechnungen war dick. Er verbeugte sich nur kurz vor seiner Frau.
    »Sie werden zugeben, Madam, daß ich die meisten Ihrer Wünsche erfülle.«
    Lady St. James beäugte ihn vorsichtig. Sie mußte aufpassen, was sie sagte. So hatte sie etwa gewollt, daß man das alte Herrenhaus aus der Zeit Jakobs I. in Bocton abriß; ein georgianischer Landsitz mit einer Säulenvorhalle würde auf dem Hügel über dem Wildpark imposant aussehen. Seine Lordschaft, vorsichtig wie stets, dachte noch darüber nach, während er ihr standhaft ausschlug, das ganze Stadthaus im Stil des französischen Rokoko umzugestalten. Als Trost war ihr bisher nur ein Salon mit chinesischer Tapete erlaubt worden. Tatsächlich war sie mittlerweile so sehr seinem Willen unterworfen, daß sie sich nur an einen vollkommenen Sieg erinnern konnte – sie hatte es geschafft, seinen Familiennamen zu ändern.
    Es war eine feine Sache, Earl of St. James zu sein, und als einfache Miss Barham war die Aussicht, eine Gräfin zu werden, verlockend. Aber da war der Name Ducket. Die Hälfte der Gedenktafeln in London behauptete, der eine oder andere Ducket sei Alderman, Gildemitglied oder Kaufmann gewesen. Sie waren zwar Earls geworden, aber die Wurzeln der Familie lagen im Handel, und das fand die elegante junge Miss Barham erniedrigend.
    Die Geschichte ist eine Magd der Mode. Am Ende des StuartZeitalters wurden die jüngeren Söhne des niederen Adels immer noch Mercer und Draper, nun jedoch vermieden sie das und bevorzugten statt dessen die Armee oder die Kirche, worauf ihre Großväter sicher herabgesehen hätten. Zur Not konnten sie auch Rechtsanwälte werden. Aus der Geschichte kannte man den feudalen Ritter oder den römischen Senator, an deren Beispiel man sich mehr und mehr orientierte, bis die englischen Oberschichten Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wirklich an den Spruch glaubten: »Gentlemen treiben weder Handel noch Gewerbe.« Dieser historische Unsinn sollte das Leben der Menschen über zweihundert Jahre lang bestimmen.
    Ihre handeltreibenden Vorfahren wurden vergessen oder unterschlagen. Man machte eine einzige Konzession an den gesunden Menschenverstand: Ein Gentleman konnte eine Frau aus dem Kaufmannsstand heiraten. Selbst in den snobistischsten Jahren des Jahrhunderts georgianischer Eleganz heirateten Gentlemen und Adlige die Tochter von Kaufleuten. Ihre französischen oder deutschen Pendants wären entsetzt gewesen, doch darum scherten sie sich nicht. In England zählte nur die männliche Linie.
    Die männliche Linie des Hauses St. James trug den Kaufmannsnamen Ducket, und das war für Miss Barham kaum zu ertragen. Daher änderte der junge Earl, der zu dieser Zeit sehr von ihr geblendet war – sie war die Schönheit jedes Balls –, die

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