London
Ihres.«
»Hexe! Diebin! Das kann nicht sein.« Aber da war der Arzt hereingekommen und hatte ihr versichert, genau so sei das Kind zur Welt gekommen.
Wie konnte sie so ein Ding ihren Freunden zeigen? Grauen ergriff sie, Grauen vor dem Kind, vor sich selbst, vor ihrem Mann, der schuld war, daß sie so ein Ding bekam. »Bringt es fort«, hatte sie gerufen und hatte sich wieder in die Kissen fallen lassen.
Bald darauf hatte Lord St. James in den Norden Englands reisen müssen, und zu dieser Zeit hatte sie bereits ihren Plan. Das Gespräch mit der Amme hatte sie auf die Idee gebracht. Natürlich war es undenkbar, daß eine Gräfin ihr Kind selbst stillte. Man hatte eine dralle junge Frau gefunden, die einen Monat vor Lady St. James ein Kind gebären sollte. Die Frau hatte beiläufig erwähnt:
»Ich habe immer viel Milch, Mylady, genug, um auch Ihr Kind zu nähren. Und wenn meines stirbt, bekommt das Ihre alles.«
»Sterben denn so viele Säuglinge?« hatte die Gräfin gefragt.
»O ja, Mylady. In London jeden Tag eine ganze Menge.« Selbst die Reichen waren gefährdet; irgendein Fieber konnte das Kind dahinraffen. Bei den Armen in ihren überfüllten, unhygienischen Wohnungen erlebte nicht einmal jedes dritte Kind das Alter von sechs Jahren. Ausgesetzte Säuglinge, tot oder im Sterben, waren ein normaler, trauriger Anblick. Diese Information, zusammen mit anderen Erkundigungen, die Lady St. James eingezogen hatte, war die Grundlage ihres Plans.
Sie brauchte noch eine Komplizin, doch das war nicht schwierig. Die heruntergekommene Frau, die sie in einem dunklen Eck von Covent Garden ausgewählt hatte, wußte nicht, wer die fremde, in einen Umhang gehüllte Lady war, doch fünf Pfund, zusammen mit dem Versprechen, weitere zehn Pfund zu bekommen, wenn alles erledigt war, genügten bei weitem, ihre Mitarbeit zu sichern, ohne daß sie irgendwelche Fragen stellte.
Die Dienstboten am Hanover Square waren erstaunt, als Ihre Ladyschaft zwei Tage nach der Abreise des Lords plötzlich von Angst ergriffen wurde. Das Kind sei krank, erklärte sie, es müsse an der Amme liegen. Die Frau wurde entlassen, Ziegenmilch mußte besorgt werden. Man bot an, die Säuglingsschwester oder den Arzt zu holen. Sie erwog es, entschied dann aber: »Ich traue keinem.« Eines Tages im Morgengrauen hörte man sie dann schreien. Außer sich eilte Ihre Ladyschaft die Treppe herunter, das Kind, eingehüllt in ein Tuch, auf dem Arm. Sie erteilte Befehle: In einer Stunde müsse die schnelle Kutsche bereit sein. Sie würde nach Bocton fahren. Nach Bocton, das sie nie gemocht hatte, und um diese Morgenstunde! Sie würde nur den Kutscher und einen Pferdeknecht mitnehmen. »Landluft«, rief sie, »dann wird das Baby wieder gesund werden.« Dann rannte sie mit dem Baby hinaus auf den Platz und verschwand für fast eine Stunde.
Sie fuhren wie die Wahnsinnigen. Über die London Bridge, durch Southwark, auf die alte Straße nach Kent, die hinauf nach Blackheath und über den Shooter's Hill führt; Stunde um Stunde, mit nur je einem Halt in Dartford und Rochester, um die Pferde zu wechseln. Es war bereits dunkel an diesem Tag im März, als sie endlich den bewaldeten Park von Bocton erreichten, wo die erstaunte Haushälterin hastig das Zimmer für Ihre Ladyschaft herrichten mußte, in das sie sich sofort mit dem Kind zurückzog.
Ein höchst erstaunter Arzt aus Rochester, der am nächsten Morgen gerufen wurde, erklärte: »Dieses Kind ist seit mindestens einem Tag tot.« Aber Lady St. James war nun völlig geistesverwirrt und beharrte verzweifelt darauf, daß das Baby wieder gesund werden würde, da es nun Landluft habe, und der Arzt hatte den kleinen Leichnam stillschweigend mitgenommen. Zehn Tage später, als Lord St. James aus dem Norden zurückkam, fand er seinen Erben begraben auf dem kleinen Friedhof neben dem Wildpark in Bocton und seine Frau fast wahnsinnig vor Kummer.
Das war die trübe Erinnerung, die Ihre Ladyschaft überfiel, als sie allein in ihrem Zimmer am Hanover Square saß. Für ihr Kind, das sie gegen das tote eingetauscht hatte, empfand sie nichts. Als die Frau aus Covent Garden sie gefragt hatte, was sie damit tun solle, hatte sie gezischt: »Tun Sie, was Sie wollen, solange es mir nur nie mehr vor Augen kommt.« Ich habe das Kind nicht umgebracht, sagte sie sich. Sie hoffte nur, daß es tot war. Doch das war lange her. Ihre Zofe kam ins Zimmer, um Ihrer Ladyschaft in das prächtige Kleid zu helfen.
Isaac Fleming konnte es sich erlauben,
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