London
sehen. Unbemerkt fand er einen Platz unter den Stehenden und verbrachte den restlichen Nachmittag dort. Als er mit der Menge aus dem Theater trat, war von seinen Verfolgern nichts mehr zu sehen.
Was sollte er nun tun? Seine Eltern würden bald das Festmahl für die Nachbarn auftischen. Sie warteten sicher schon auf ihn. Er mußte unbedingt mit seiner Mutter über die Tasche mit den gefälschten Münzen reden. Sextus hatte ihm eine Frist bis Sonnenuntergang gestellt, und nun ging die Sonne gerade unter. Er würde wohl oder übel bis zum nächsten Morgen warten müssen. Dann fiel Julius wieder das Gold ein. Er hatte den Sack ja schon in den Händen gehalten! Er befand sich sicher ganz in der Nähe, wahrscheinlich in irgendeinem Keller. Aber vielleicht würden die Legionäre ihre Beute nicht lange in dem Versteck liegenlassen. Vielleicht kamen sie in ein, zwei Tagen zurück und verteilten das Gold an verschiedene Stellen. Wenn ich an dieses Gold kommen will, dann sollte ich besser bald danach suchen, sagte sich Julius.
Er bog in eine Seitenstraße ein und kehrte an die Stelle zurück, an der der Karren gestanden hatte. Von den Soldaten war nichts zu sehen. Er musterte die Umgebung eingehend. Es kamen etwa ein halbes Dutzend Stellen als Versteck in Frage. Er würde sie alle absuchen müssen. Bald würde es dunkel sein. Er brauchte ein Licht. Vorsichtig machte er sich wieder auf den Weg, ohne zu wissen, daß er verfolgt wurde.
Nach Einbruch der Dunkelheit begann sich Julius' Mutter Sorgen zu machen. Die Nachbarn genossen das üppige Mahl. Das dicke Mädchen stopfte sich gerade sein drittes Huhn in den Mund, während Rufus den Freunden eine lustige Geschichte erzählte. Aber wo steckte der Junge?
»Er ist hinter einer Frau her«, hatte Rufus ihr grinsend berichtet, als Julius zu Beginn des Festmahls nicht erschienen war. »Mach dir keine Sorgen!«
Aber sie hatte Rufus noch nichts von den Münzen erzählt. Und was hatte Sextus mit der Geschichte zu tun? Sie mochte diesen Burschen mit den dichten Augenbrauen einfach nicht. Unter dem hellen Sternenhimmel glitt das kleine Boot, getragen von der Ebbe, leise stromabwärts. Die Luft war selbst hier auf dem Fluß noch warm. Der Körper im Boot lag starr auf dem Rücken, das Gesicht zum Nachthimmel gerichtet. Der Messerstich, der den Mann getötet hatte, war so bedacht gesetzt worden, daß die Wunde kaum blutete. Nun wurde der leblose Körper mit Steinen beschwert, damit er für immer auf den Grund des Flusses sank.
Es erforderte einiges Geschick, einen Leichnam im Wasser loszuwerden. Der Fluß hatte Strömungen und Strudel, einen geheimen eigenen Willen, und eine Leiche, die an einer Stelle versenkt wurde, konnte auf unerklärliche Weise an einer anderen Stelle wieder auftauchen. Man mußte die Geheimnisse des Flusses kennen, und dies tat der Kapitän.
Anfangs war er sehr überrascht, als er sah, wie seine Frau und Sextus sich mit Küssen begrüßten. Er kannte Sextus vom Sehen und dem Namen nach, aber er glaubte sich zu erinnern, daß der Brief mit einem J, nicht mit einem S unterschrieben worden war. Nun, wahrscheinlich war es doch ein schlecht geschriebenes S gewesen. Und so hatte er Sextus getötet, während dieser seinem Freund Julius durch die Gassen nachschlich.
Nun mußte er sich noch überlegen, was er mit Martina anstellen sollte. Zuerst wollte er sie so bestrafen, daß sie es nie vergessen würde, aber dann dachte er daran, daß es wahrscheinlich nicht einfach sein würde, einen Ersatz für sie zu finden. Und er hatte sich ja schon an ihrem Liebhaber gerächt. Also beschloß er, sie freundlich zu behandeln und abzuwarten, was passieren würde.
Im Herbst des Jahres 251 wurde der Diebstahl einer beträchtlichen Menge an Gold- und Silbermünzen entdeckt. Der Zenturio, der mit den Nachforschungen beauftragt wurde, konnte nichts herausfinden. Darauf wurden der Zenturio und eine Reihe von Truppen aus der Garnison in Londinium überraschend nach Wales versetzt, um dort beim Wiederaufbau der großen Festung Caerleon mitzuhelfen. Es wurde kein Datum für ihre Rückkehr genannt.
Für Julius wandte sich alles zum besten. Seine Mutter fragte ihn nie mehr nach der Tasche, und mit dem geheimnisvollen Verschwinden seines Freundes Sextus schien die ganze Sache ein Ende zu haben. Seine Geschäfte mit dem Kapitän florierten. Und das Beste daran war, daß der Kapitän, nachdem er den Liebhaber seiner Frau beseitigt hatte, nie mehr den leisesten Verdacht hegte, daß sich
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