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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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brauchte die vierzig Pfund. Die Rechnung für die Pflastersteine lag immer noch unbezahlt da. »Ich bin am Ende«, murmelte er. Traurig ging er nach unten, um den Ofen für das morgendliche Brotbacken vorzubereiten. Nachdem er das erste Blech im Ofen hatte, ging er nach draußen. Die Fleet Street war noch still. Im Osten warf die Sonne einen hellen Schein auf den Himmel. In Richtung Ludgate, hoch über den Häuserdächern, sah er den prachtvollen Spitzturm von St. Bride's mit seinen fünf achteckigen Absätzen, die zum Himmel strebten. St. Bride's, dachte er. Genau der richtige Name für eine Kirche, wenn man heiratete. Und dann hatte er eine wunderbare Idee.
    Alle Gäste waren versammelt; nur zwei Dutzend ihrer liebsten und in der Gesellschaft besonders tonangebenden Freunde. Alle wußten, wie schlecht Mrs. Meredith von St. James behandelt worden war, und waren voller Mitleid für sie. Sie wußten auch von Bäcker Fleming, dessen Torte, obwohl sie noch nicht hereingebracht worden war, etwas Besonderes zu sein versprach.
    Doch das alles – das frühere Ehedrama und die plötzliche Heirat – wurde von der jüngsten Enthüllung am Hanover Square Nummer siebzehn in den Schatten gestellt – der Entdeckung des Erben.
    Es war erstaunlich. Ein gottloses Dienstmädchen hatte das Kind vertauscht, als die junge Frau völlig außer sich vor Sorge war, und nun hatte man herausgefunden, daß das verlorene Kind Kaminkehrerjunge war. Man war sich einig, daß die Geschichte wahr sein mußte, denn es gab keinen überzeugenden Grund, warum die Lady oder ihr neuer Gatte so etwas erfinden sollten. Man verlangte den Jungen zu sehen, doch das wurde abgelehnt.
    »Es ist zuviel für ihn«, erklärte seine Mutter. »Ich muß ihn schützen.« Sie hatte darauf bestanden und Jack hatte zugestimmt, daß der Straßenbengel – der kaum akzeptabel sprechen, geschweige denn lesen und schreiben konnte – zumindest ein Jahr lang abgeschlossen mit einem Hauslehrer leben sollte, bevor man ihn herzeigen konnte.
    Mrs. Meredith' gesellschaftlicher Triumph – der sie für eine ganze Saison unsterblich machen sollte – wurde gekrönt von der Ankunft der Hochzeitstorte, die von zwei Dienern hereingetragen wurde. Isaac Flemings Idee war einfach, aber wirkungsvoll. Es war nicht eine Torte, sondern es waren vier, jede ein wenig kleiner als die vorige, umhüllt von hartem weißem Eis und übereinander in Reihen angeordnet, die von kleinen Pfeilern aus Holz, ebenfalls mit Eis überzogen, gestützt wurden. Es war eine Nachbildung des Spitzturms von St. Bride's, so genau, wie das bei einer Torte nur möglich war. So eine Torte hatte man noch nie zuvor gesehen. Die Gäste begannen zu applaudieren, und die Gastgeberin war so angetan, daß sie sich am nächsten Tag, bevor sie das Land verließ, beinahe daran erinnert hätte, die Rechnung des Bäckers zu bezahlen.
    In der Zwischenzeit standen Harry Dogget und der neue Earl of St. James an der Straßenecke und unterhielten sich.
    »Alles in Ordnung?« fragte Harry.
    »Bin ganz geplättet. Aber man muß furchtbar sauber sein, und Schuhe muß ich anziehen. Im Sommer! Gräßlich. Und lesen und schreiben muß ich lernen.«
    »Wird dir nicht schaden.«
    »Bloß eins, Dad.« Der Junge war nachdenklich. »Vor 'nem Jahr ungefähr, als Mum betrunken war, hat sie was über mich und Sep gesagt. Sie hat gesagt, du hast Sep bei Seven Dials gefunden.«
    »Vielleicht.«
    »Na, wenn du ihn gefunden hast und nich mich, was mach ich dann hier?«
    »Schicksal«, antwortete Harry Dogget fröhlich. »Du bist eben ins Haus und hast versucht, 'nen Shilling zu klauen, oder? Also haben sie dich gefunden.«
    »Aber ich bin dein Sohn, und Sep nich.«
    »Nun«, meinte Harry mit untadeliger Logik, »das ist was, was wir nicht wissen. Als ich ihn gefunden hab, hab ich gedacht, er ist meiner. Sie sagen, daß sie einen wie ihn verloren haben. Vielleicht gehört er in Wirklichkeit keinem von uns. Aber das macht jetzt nix. Eins weiß ich jetzt, mein Sohn, du bist jetzt auf jeden Fall 'ne Stufe raufgerutscht.«
    »Ich bin ein Lord«, sagte der Junge. »Aber ich hab nich das Gefühl, daß es richtig ist.«
    »Schau«, erwiderte sein Vater fest, »streng deine Birne an. Willst du dein ganzes Leben reich und versorgt sein? Dann halt den Mund und sei froh. Willst du kein Lord sein?«
    »So schlecht isses nich«, gab Sam zu. »Du solltest das Essen sehen. Keine verdammte Auster in Sicht.«
    »Na also«, erklärte sein Vater. »Ich wünsch dir ein

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