London
vorbeigegangen, als ein großer Korb voller Ziegel auf ihn herabstürzte. Will atmete keuchend. Er schien nicht wahrzunehmen, daß der Geistliche da war, und er sah auch Lucy und den kleinen Horatio nicht. Gegen sechs Uhr abends war er tot.
Das Gesicht ihrer Mutter war grau. Den Ehemann zu verlieren war furchtbar. Ein Witwer konnte wieder heiraten, und die neue Frau würde sich um die Kinder kümmern, doch wovon sollte eine Witwe leben, wenn der Ernährer starb? Will Dogget wurde am nächsten Tag in einem Armengrab bestattet. Lucy hatte einmal gehört, daß ihr Vater gesagt hatte, es gebe auch noch andere Doggets, Onkel oder Tanten vielleicht, aber ihre Mutter kannte sie nicht. Eine einzige andere Person tauchte noch auf, eine seltsame, untersetzte Gestalt mit einem formlosen schwarzen Hut. Der Mann sah der Beerdigung schweigend zu, dann kam er zu ihnen und sprach ein paar schroffe Worte, bevor er ging. Er roch nach dem Fluß, und Lucy fand, daß er ein finsterer Geselle war.
»Wer ist das?« fragte sie ihre Mutter.
Ihre Mutter verzog das Gesicht. »Das ist Silas. Ich weiß nicht, wie er das mit eurem Vater erfahren hat. Ich habe ihn nicht hergebeten.«
»Was macht er?« fragte das Mädchen neugierig. »Das brauchst du nicht zu wissen«, antwortete die Mutter.
Was also war er wert? Als Penny an diesem Oktobernachmittag aus der Bank kam, war diese Frage plötzlich wichtig. Der Grund waren ein Paar wunderbarer brauner Augen und eine sanfte Stimme mit einem leichten schottischen Akzent, die Miss Mary Forsyth gehörten. Es war eine dringende Frage, denn er sollte nun zum erstenmal mit ihrem Vater sprechen.
In den vergangenen eineinhalb Jahren hatte Eugene ein wenig Geld auf die Seite gebracht und mit ein paar vielversprechenden Investitionen begonnen. Vor allem der wachsende Markt für Auslandskredite hatte in der City für Optimismus gesorgt. Das Bankhaus Meredith hatte bereits sehr gut an Buenos Aires und Brasilien verdient und sich erst kürzlich einem großen Konsortium für Mexiko angeschlossen, mögliche Kredite für Kolumbien und Peru aber klugerweise abgelehnt. Ermutigt von diesen profitablen riesigen Geldsummen, die in der City umgesetzt wurden, hatten Börsenspekulanten, wie eine Flottille im Kielwasser der großen Anleihen, kleinere Obligationen und sogar Aktiengesellschaften verkauft. Es war eine große Hausse, und da sämtliche Kurse stiegen, fühlten sich alle Investoren sehr schlau. Eugene Penny hatte bereits mehr als tausend Pfund dabei verdient. Aber war das genug, um Hamish Forsyth zufriedenzustellen?
Er betrat die Königliche Warenbörse. Sie war zum Bersten voll. Jeder Quadratmeter des weltweiten Handelszentrums war einem speziellen Handelszweig zugeordnet; so gab es die Straße für Jamaika, für Spanien, für Norwegen, wo Spekulanten Aktien an Käufer aus jedem Land verkauften. Eugene schritt durch die geräuschvolle Halle in die ruhigeren Bereiche des Halbgeschosses darüber. Hier war Mr. Forsyth' Arbeitsplatz.
Lloyds of London war nicht zu unterschätzen. Das alte Kaffeehaus hatte sich zu einer klug geleiteten Gesellschaft mit bestem Ruf entwickelt. Manche der kleineren Versicherungsvertreter waren kaum mehr als herausgeputzte Straßenhändler oder Trickbetrüger, aber die Angestellten von Lloyds waren von einem ganz anderen Schlag. In diesem feierlichen Saal, den sie von der Börse gemietet hatten, war das Schiffsregister von Lloyds untergebracht. Hier wurden die größten Schiffe, egal, wie wertvoll ihre Fracht war, durch ähnliche Syndikate, wie sie die Banken für die größten Kredite aufbauten, versichert. Und keiner der etwa hundert Versicherer hatte strengere Grundsätze als der mürrische Mann, der Eugene nun zunickte.
Über Mr. Hamish Forsyth sagte man oft, er sehe aus wie ein schottischer Richter, der gerade ein Urteil gesprochen hatte. Seine presbyterianischen Vorfahren waren rauh wie Granit. Hamish Forsyth, ebenso streng, richtete sein Augenmerk jedoch auf den Londoner Versicherungsmarkt statt auf die schottische Staatskirche. Er hatte eine Hakennase und noch ein paar Strähnen grauen Haares über der hohen Stirn. Von Zeit zu Zeit nahm er eine kräftige Prise Schnupftabak. Er nahm Penny mit in ein Kaffeehaus in der Threadneedle Street, wo er ihn mit gönnerhafter Miene zu einer Tasse Kaffee einlud. »Sie haben meine Tochter kennengelernt«, meinte Forsyth. »Dann sollten Sie mir wohl Rede und Antwort stehen.«
Penny fühlte sich, als wäre er ein Schiff, das auf seine
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