London
ihr Geld abzuheben. Mit den Postkutschen aus jeder Grafschaftshauptstadt kamen die Nachrichten nach London. »Gold. Sie wollen alle Gold!« Am folgenden Wochenende stellte Pole alle Zahlungen ein, und infolgedessen waren am Montag, den 16. Dezember, drei Dutzend Provinzbanken zusammengebrochen.
Schon vor Morgengrauen hatte sich an diesem Montag Nebel über die Stadt gelegt. Der Vormittag verging ereignislos; der Handel stand still. Von Zeit zu Zeit sandte man einen der Angestellten aus, der sich nach Neuigkeiten erkundigen sollte: »In der Börse wimmelt es von Leuten, die Geld wollen!« erfahr man. »Das Bankhaus Williams in der Mincing Lane wird belagert.«
Meredith' eigene Vorbereitungen waren gründlich gewesen. Während der letzten Woche hatte er fast alle großen Kunden der Bank aufgesucht. »Ich glaube, ich habe die Sache mit allen geregelt«, sagte er Eugene. Außerdem hatte er sich mit soviel Goldmünzen wie möglich eingedeckt. »Zwanzigtausend Sovereigns«, verkündete er.
Nur wenige Leute kamen vormittags, um Geld abzuheben. Mittags kam ein Kaufmann und zahlte tausend Pfund ein. »Die habe ich bei Williams abgehoben«, erklärte er. »Bei Ihnen ist es sicherer.«
Kurz vor Geschäftsschluß erschien ein älterer Landedelmann, eingemummt in einen dicken Mantel, im nebelumwaberten Eingang und trat an den Schalter. »Ich heiße Grimsdyke«, erklärte er, »aus Cumberland. Ich möchte abheben.«
»Bei Gott«, murmelte Meredith, »dieser alte Gentleman war einer meiner ersten Kunden! Er muß die ganze Nacht unterwegs gewesen sein.«
»Gewiß, Sir«, erwiderte der Angestellte zuvorkommend. »Wieviel?«
»Zwanzigtausend Pfund.«
Es sei wirklich nicht nötig, so viel abzuheben, versicherte ihm Meredith, die Bank sei absolut stabil. Aber der alte Gentleman war nicht den ganzen Weg aus Nordengland gekommen, um nun seine Meinung zu ändern. Er hob alles ab und ließ es von den Angestellten zu seiner Kutsche tragen. Als sich die Tür hinter ihm schloß, rief Meredith Eugene. »Machen Sie eine Bilanz, Mr. Penny, und kommen Sie damit in mein Arbeitszimmer.«
»Noch einen Tag überstehen wir nicht«, meinte Meredith, als er und Eugene die Bücher durchsahen. »Diese drei« – er deutete auf die Namen, die Penny schon vor einigen Jahren beunruhigt hatten – »schulden uns zuviel, und ich weiß wirklich nicht, ob wir solvent sind oder nicht. Und was Abhebungen betrifft – ich kann noch einmal fünftausend in bar bekommen, aber irgendwann morgen wird das Geld weg sein, und wir müssen schließen.«
»Wird uns die Bank von England über Wasser halten?«
»Sie haben noch keine Bereitschaft gezeigt. Wir sind ohnehin zu klein, als daß sie sich mit uns abgeben würden.« Beide schwiegen.
»Und der Earl of St. James?« fragte Eugene schließlich.
»Er hat schon soviel für mich getan. Außerdem hat er mir schon gesagt, daß er mir nicht aus der Patsche helfen würde. Ich kann nicht zu ihm gehen.«
»Dann lassen Sie mich gehen«, erwiderte Eugene.
Der Earl war nach Brighton gefahren. Also mietete sich Penny eine Postkutsche und fuhr auf der Mautstraße fünfzig Meilen in das Seebad im Süden. Mit etwas Glück, dachte er, würde er dort noch ankommen, bevor der Earl sich zum Schlafen zurückzog.
Es war nach zehn Uhr, als Eugene sich nach ausführlichen Erklärungen gegenüber Türstehern und Lakaien allein mit dem Earl of St. James in einem prachtvoll ausgestatteten Vorzimmer befand. Die Augen des Earls wurden hart, als Eugene den Grund seines Kommens erklärte. »Ich habe ihm gesagt, daß ich ihm nicht aus der Patsche helfen würde. Das weiß er.«
»Ja, Mylord. Ich habe ihn gebeten, daß er mich zu Ihnen fahren lassen soll.«
»Sie?« St. James starrte ihn an. »Sie sind einer seiner Angestellten, und kommen zu mir? Hierher? Sie haben Nerven.«
»Gute Nerven sind alles, was die Bank braucht. Wenn Sie uns nur kurze Zeit über Wasser halten.«
»Ist die Bank solvent?«
»Ja, Mylord.« Eugene sagte das mit absoluter Überzeugung, obwohl er wußte, daß es eine Lüge war. Aber er tat es für Meredith.
»Ich leihe ihm zehntausend zu zehn Prozent«, entschied St. James. »Ich komme morgen nach London. Reicht das?«
Eugene Penny nahm die Postkutsche, die vor Morgengrauen fuhr, und war vormittags wieder in der Stadt. Der Nebel hatte sich gelichtet; auf den Straßen herrschte geschäftiges Treiben. Als er Meredith die Nachricht überbrachte, war der Bankier so überwältigt, daß er ihm nur die Hand schütteln
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