London
dem Meißel hantieren konnte. Doch er behielt seine Beobachtungen für sich.
Am dritten Tag beauftragte man ihn mit kleineren Arbeiten; ein paar Dinge mußten gefeilt, ein zerbeulter Helm repariert werden. Beide Aufträge erledigte er sehr sorgfältig und überreichte sie dann dem Meister, der sie wortlos entgegennahm.
Am nächsten Tag befahl ihm der Meister, einem Lehrling zu helfen, der ein Jahr älter war als er. Alfred mußte einen Helm festhalten, während der andere Nieten daran anbrachte. Dann meinte der Meister, daß der neue Junge es auch einmal versuchen solle, und der ältere Lehrling überließ ihm, wenn auch ungern, seinen Platz. Doch Alfred richtete mit den Nieten nur ein Chaos an. Verärgert sagte der Meister zu dem älteren Jungen: »Zeig ihm, wie man das macht!« und ging davon.
Doch damit war die Angelegenheit noch nicht erledigt. Als die Lehrlinge abends heimgehen wollten, rief der Meister Alfred zu sich und fragte ihn: »Warum hast du das getan?«
»Was getan, Sir?«
»Ich habe dich beobachtet. Der Hammer wirkt fast wie eine Verlängerung deines Arms. Warum hast du dich heute absichtlich so ungeschickt angestellt?«
Nun blieb Alfred nichts anderes übrig, als ein Geständnis abzulegen. »Ich bin neu hier, Sir. Wenn die anderen Lehrlinge auf mich eifersüchtig werden, könnten sie mir das Leben zur Hölle machen, ja, mich von hier forttreiben. Also ist es mir lieber, sie glauben zu lassen, daß sie mir etwas beibringen können, bis wir besser befreundet sind. Schließlich bin ich ja nur ein einfacher Schmied«, fügte er noch hinzu, »aber ich will gerne Waffenschmied werden.«
Der Meister nickte nachdenklich. »Arbeite fleißig, Alfred«, sagte er, »dann werden wir weitersehen.«
Alfred lernte also ein neues Handwerk in der Waffenschmiede, und dabei erfahr er auch wichtige Dinge über das angelsächsische Königreich. Die Flotte mochte sich zwar darauf vorbereiten, die Insel vom Meer aus zu verteidigen, doch die Vorbereitungen auf dem Land liefen ganz anders. Das englische Königreich hatte weder ein Berufsheer noch Söldnerstreitmächte. Das Heer bestand aus dem fyrd – dem Aufgebot, das die Grundherrn und Bauern stellten. Kein Tag verstrich, ohne daß ein aufgeregter sächsischer Landbesitzer mit Dingen, die dringender Wartung bedurften, in der Schmiede auftauchte – mit einem stumpfen Schwert, einer zerkratzten Streitaxt oder einem schweren, runden sächsischen Schild mit Gurten, die unbedingt erneuert werden mußten. Alfred konnte kaum glauben, wie unorganisiert sie alle waren. Und natürlich brachten sie vor allem ihre Rüstungen vorbei. Die Rüstungen der Kämpfer im angelsächsischen England waren dieselben, die in ganz Europa benutzt wurden; es waren Kettenhemden. Kleine Metallringe wurden miteinander vernietet, bis sie schließlich ein langes, bis über die Knie reichendes Hemd bildeten. Da so ein Kettenhemd locker saß und flexibel war, konnte es für verschiedene Träger abgeändert werden. Viele der Hemden, die Alfred sah, waren schon von den Vätern der jetzigen Besitzer getragen worden. Sie waren wertvoll und wurden wie ein Schatz gehütet. Aber natürlich zeigten sie auch Abnutzungserscheinungen, und die große Oberfläche mit all ihren Verbindungen machte sie extrem rostanfällig. Alfred bekam oft genug die lästige Aufgabe, die Roststellen zu beseitigen.
Aber dennoch fühlte er sich sehr wohl. Die anderen Lehrlinge akzeptierten ihn rasch, und auch Barnikel vergaß ihn nicht. Einmal pro Woche wurde er in die Halle des Dänen zu einer herzhaften Mahlzeit eingeladen, und obwohl er nur ein armer Lehrling im Haus eines reichen Mannes war, fühlte er sich fast wie ein Teil der Familie. Er lernte auch Leofrics Tochter kennen, die oft in diesem Haus zu Gast war, und bewunderte ihre sanfte Art so sehr, daß er sich schon bald in sie verliebte.
Ende Juni bekam die Waffenschmiede den Auftrag, ein Dutzend neuer Kettenhemden anzufertigen. Der Meister fluchte über den knappen Termin, die Lehrlinge stöhnten. Bevor man sich an die eigentliche Herstellung machen konnte, mußte man eine elende Arbeit erledigen, nämlich den Draht für die einzelnen Glieder herstellen. Dazu wurde ein langer, dünner Eisenbarren in der Esse erhitzt, um ihn weich zu machen; dann wurde sein Ende durch das Loch eines stählernen Drahtzieheisens gesteckt. Der stärkste Lehrling machte den Anfang und trieb das Eisen durch die Lochplatte; dann wurde der Prozeß mit einer weiteren Platte, die ein kleineres
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