London
Loch hatte, wiederholt. So ging es immer weiter; das Eisen wurde bei jeder weiteren Platte mehr gedehnt und ausgedünnt. Und Alfred mußte sich schließlich an die letzten Ausdehnungen machen. Er hielt den dicken Draht mit einer Greifzange, die an einem breiten Ledergürtel befestigt war, den er um die Hüften trug. Dann zerrte er mit aller Kraft, bis sein ganzer Körper ihm weh tat.
Am Ende eines solchen Tages machten sich die Lehrlinge wieder einmal auf den Heimweg, als der Meister rief: »Ich brauche Hilfe. Alfred soll noch hierbleiben.« Zwei Stunden lang mußte Alfred dem Meister noch zur Hand gehen, bis auch er endlich heim durfte.
Ein paar Tage später passierte das gleiche, doch diesmal befahl der Meister noch einem weiteren jüngeren Lehrling, länger zu bleiben, und die beiden schufteten noch drei Stunden, bis der Meister sie endlich entließ.
Die Herstellung eines Kettenhemdes faszinierte Alfred sehr. Zuerst wurden aus dem Draht Ringe geformt, die jedoch nicht geschlossen wurden. Der Draht wurde dazu um einen Metallstab gewickelt und der ganzen Länge des Stabs nach aufgeschnitten. Die so entstandenen Ringe trieb man durch eine sich verengende Röhre in einem Stahlblock, so daß ihre Enden sich ordentlich überlappten. Dann wurden sie wieder erhitzt und in eine Form gelegt, in der mit zwei Schlägen ihre Enden plattgedrückt wurden. Nun wurde mit Hilfe einer Lochzange ein winziges Loch in die abgeflachten Enden gebohrt. »Dort kommen die Nieten rein«, erklärte man Alfred. Danach wurden die Enden noch einmal leicht auseinandergezogen, um die Ringe zusammenzufügen, und schließlich wurde alles in einen Eimer mit Öl gelegt, denn wenn man heißes Eisen in Wasser legt, kühlt es zu schnell ab und wird dadurch spröde.
Alle Arbeiten wurden derart sorgfältig ausgeführt, daß Alfred bei den einzelnen Ringen kaum einen Unterschied erkennen konnte. Die Verbindungen variierten nahezu nicht.
Als der Meister Alfred zum drittenmal befahl, länger zu bleiben, ließ er den Jungen jeden einzelnen Arbeitsgang alleine machen – das Wickeln, das Schneiden, das Überlappen der Enden, das Bohren und das Offnen – und nickte nur immer stumm, wenn Alfred es richtig machte. Dann führte er den Jungen zu einem großen Holztisch und befahl ihm, gut zuzusehen.
Die Kunst eines Waffenschmiedemeisters war der eines Schneidermeisters nicht unähnlich. Zuerst wurden die offenen Ringe in Reihen ausgebreitet, so daß jeder Ring mit vier anderen verbunden werden konnte – zwei diagonal darüber, zwei darunter. Die Form der Rüstung ähnelte einem langen Hemd mit Ärmeln, die bis zu den Ellbogen reichten. Der untere Teil erhielt hinten und vorne einen Schlitz, um das Reiten zu erleichtern. Der obere Teil wurde zu einer Kapuze geformt, die auch abgenommen werden konnte. Am Nacken bekam das Hemd einen Schlitz, der mit Bändern verschlossen werden konnte, und an der Vorderseite der Kapuze gab es noch ein Stück, das vor den Mund geführt und an den Seiten ebenfalls mit Bändern befestigt werden konnte. Ein Schneider konnte sein Tuch natürlich falten und schneiden; ein Waffenschmied hingegen mußte seine Ringe geometrisch anordnen, was einem Strickmuster ähnelte. An der einen Stelle wurde eine Verbindung mit fünf anderen Ringen anstatt mit vier hergestellt, an einer anderen Stelle wurde ein Ring gar nicht verbunden. Doch am Ende war alles dermaßen eng und exakt verbunden, daß es fast unmöglich war, die verschiedenen Verbindungsstellen auszumachen.
Alfred sah begeistert zu, wie der Meister ihm all dies zeigte und auch immer wieder darauf hinwies, daß in diesem Metallhemd möglichst viel Bewegungsfreiheit herrschen mußte. »Vernietet werden muß es immer von außen. Fühl mal, dann weißt du, warum!« erklärte er Alfred. Als dieser das Kettenhemd von außen betastete, spürte er, daß es dort ziemlich rauh war, während es auf der Innenseite, wo die Nieten flach gegen ein ledernes Untergewand aufkommen würden, ganz glatt war. Auf einige der Nieten prägte der Meister seinen persönlichen Stempel. Nun gab es nur noch eines zu tun: Das Eisen, das die Waffenschmiede im Mittelalter benutzten, war relativ weich; es mußte noch gehärtet werden. Der Meister rollte das fertige Stück in zerkleinerte Holzkohle ein und verpackte es in einer Eisenschachtel, die er in die Esse stellte. Bald glühte sie rot. »Das Eisen und die Holzkohle verbinden sich, so daß aus dem Eisen Stahl wird. Doch dies darf nicht zu lange dauern. Die
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