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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Normannen am Hafen herrschten, aber das kleine Rinnsal von Suppe, das aus Ralphs Mundwinkeln tropfte, erfüllte ihn mit besonderem Widerwillen. Obendrein mußte er auch noch das Trinkgefäß mit seinem Tischnachbarn teilen.
    Dennoch war das Mahl eindrucksvoll. Silversleeves ließ wie ein französischer Adliger auftischen. Nach der Brühe kam ein Püree, eine dicke Suppe aus Lauch, Zwiebeln und anderen Gemüsen, die in Milch gekocht waren; danach gegrillter Hase in Weinsauce. Dem damaligen Brauch zufolge war die Tischdecke sehr lang, so daß die Speisenden sie auch als Serviette nutzen konnten. Nach jedem Gang gab es eine frische Decke, was Leofric ebenfalls sehr beeindruckte.
    Silversleeves war ein anspruchsvoller Esser. Er säuberte seine Finger immer wieder in einer Schüssel mit Rosenwasser. Er aß sehr bedächtig und führte immer nur kleine Bissen zum Mund, und der Wein, den er in den beiden irdenen Krügen hatte auftischen lassen, war hervorragend.
    Zum Abschluß wurde Fruchtpudding mit Feigen, Nüssen und gewürztem Wein serviert. Erst danach sprach Silversleeves das anstehende Thema an, auch wenn er es sehr indirekt einleitete. Sie unterhielten sich über die Invasion. »Natürlich«, sagte Silversleeves bedächtig, »kenne ich als Normanne einige von Wilhelms Leuten. Wer auch immer siegen wird – auf unser Geschäft wird sich das kaum auswirken.« Nach einer kleinen Pause kam er endlich zum Punkt. »Einer meiner Söhne«, sagte er lächelnd, »möchte gerne Eure Tochter heiraten.« Bevor Leofric noch eine passende Antwort einbringen konnte, fuhr er fort: »Uns liegt nichts an einer Mitgift, sondern ausschließlich an einer Verbindung mit Eurem guten Namen.«
    Leofric rang nach Luft. Dies war ebenso erstaunlich wie höflich. Doch es sollte noch besser kommen. »Ich kann Euch auch ein Arrangement anbieten, das Euch vielleicht interessieren wird. Wenn diese Hochzeit zustande kommt, würde ich gerne Eure Schulden übernehmen, und zwar die an Barnikel sowie die an Becket. Ihr braucht Euch nie mehr darum zu kümmern.« Und damit senkte er seine lange Nase in seinen Weinbecher und starrte höflich auf das Tischtuch.
    Eine Weile fand Leofric gar keine Worte. Als Silversleeves ihn in seiner Botschaft hatte wissen lassen, daß er ihm vielleicht helfen konnte, hatte Leofric zwar geahnt, daß der Normanne ein mächtiger Mann war, aber dies ging weit über alles hinaus, was er sich erträumt hatte. Vielleicht würde eine Verbindung mit diesem Normannen im Falle von Wilhelms Sieg sogar seinen Landsitz retten.
    »Aber warum?« brachte er endlich hervor.
    »Nur der Liebe wegen«, sagte Silversleeves sanft.
    »Welcher Sohn möchte denn meine Tochter haben?« fragte Leofric mit belegter Stimme.
    Silversleeves wirkte überrascht. »Ich dachte, das wüßtet Ihr. Henri natürlich.«
    Leofric war so erleichtert, daß es nicht Ralph war, daß er sich kaum die Mühe machte festzustellen, daß Henris Augen kalt wirkten. Doch selbst mit diesen neuen Aussichten wußte er, daß er nicht einwilligen konnte. Hatte er nicht Barnikel sein Wort gegeben? Und in diesem Moment kam dem aufrechten Sachsen zum erstenmal in seinem Leben ein wahrhaft niederträchtiger Gedanke. Wenn der Däne oder sein Sohn auf dem Schlachtfeld fielen, wäre er von seinem Versprechen befreit und das Familienvermögen gerettet. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er matt. »Aber ich fürchte – «
    »Wir warten auf Eure Entscheidung«, fiel Silversleeves ihm ins Wort und hob seinen Becher. Genau in diesem Moment stürmte einer der Laienmönche zur Tür herein und schrie: »Sirs! Der König ist tot! Der Herzog von der Normandie hat ihn geschlagen! An einem Ort an der Küste, in der Nähe von Hastings!«
    Die Schlacht von Hastings, die den Verlauf der englischen Geschichte grundlegend ändern sollte, fand am Samstag, dem 14. Oktober statt. Wilhelm von der Normandie hatte mehrere Vorteile. Er griff im ersten Morgengrauen an und überraschte König Harald. Er hatte ein mächtiges Kontingent von Bogenschützen und Kavalleristen, während der König von England über keine dieser Truppen verfügte. Obendrein waren die englischen Truppen auf einem schmalen Hügel versammelt und boten den normannischen Bogenschützen ein sicheres Ziel. Dennoch zog sich die Schlacht über einen ganzen Tag hin.
    Den Bogenschützen gelang es nicht, die englische Verteidigung zu durchbrechen. Als die Kavallerie anstürmte, wurde sie von den furchtbaren Hieben der zweischneidigen

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