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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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eingemachtem Obst, eine Truhe. So verdreht, daß man sie nicht mehr gebrauchen konnte: drei Fleischhaken und der Spieß, auf dem das Fleisch geröstet wurde. Zerbrochen: der Schaft einer Streitaxt. Weiterhin zerstört oder nahezu zerstört: ein Holztisch, drei hölzerne Fensterläden, zwei Eichentüren und die Wand zur Speisekammer. Selbst seine Wikingervorfahren, darin waren sich alle einig, wären stolz gewesen auf so eine Bilanz.
    Am Weihnachtstag 1066 wurde Wilhelm der Eroberer von England in der Kirche der Westminsterabtei gekrönt.
    Silversleeves und Leofric nahmen Seite an Seite an den Feierlichkeiten teil. Die Hochzeit sollte im darauffolgenden Sommer stattfinden. Leofric war schuldenfrei. Der Normanne hatte nur auf einer einzigen Bedingung bestanden: Leofric sollte von nun an seine Weine durch ihn einführen und mit Becket keine Geschäfte mehr machen. Dies schien wirklich nicht zu viel verlangt.
    Zwei Tage nach der Krönung lief Alfred Barnikel auf dem East Cheap über den Weg und bemerkte ihm gegenüber, daß der normannische König sich nun zum Herrn von London machte. Darauf erwiderte Barnikel zu Alfreds großer Überraschung: »Da heißt es abwarten.« Der Däne hatte leise gesprochen, was er sehr selten tat, und Alfred fragte sich, was er wohl damit meinte.

DER TOWER
1078
    ALS WILHELM I. ENGLAND eroberte, ging er davon aus, daß sich seine Gefolgsleute in England niederlassen und friedlich Seite an Seite mit den Engländern leben würden, was ja schließlich auch unter dem dänischen König Knut passiert war. Und obgleich er Französisch sprach, war doch auch er, Wilhelm, ein Nordländer.
    Anfangs war all sein Tun auf Versöhnung ausgerichtet. England durfte sein sächsisches Recht behalten, London seine Vorrechte, und viele englische Adlige behielten in diesen Anfangsjahren ihren Besitz, auch wenn ein paar Ländereien für die Gefolgsleute des neuen Königs konfisziert wurden. Warum also waren diese verfluchten Engländer so unvernünftig? Seit zwölf Jahren forderten sie den normannischen König immer wieder heraus: Revolten in England, Aufstände in Schottland, der Einmarsch der Dänen. Öfter als einmal hatte es so ausgesehen, als würde Wilhelm sein neues Inselreich verlieren. Und jedesmal stellte sich heraus, daß die angelsächsischen Adligen, von denen er angenommen hatte, er könne ihnen vertrauen, ein doppeltes Spiel spielten, und er sah sich gezwungen, weitere Söldner aus dem Ausland ins Land zu bringen und diese fremden Ritter mit Ländereien zu belohnen, die er den sächsischen Verrätern abgenommen hatte. So war über ein gutes Jahrzehnt hinweg der alte englische Adel durch Neuankömmlinge ersetzt worden. Und zu Recht konnte der Eroberer behaupten: »Es ist einzig und allein ihre Schuld!«
    In diesen Jahren begann eine weitere Neuerung das Gesicht Englands zu verändern. Anfangs war die normannische Burg in London eher bescheiden gewesen: ein einfacher, solider Holzturm, auf einer Anhöhe errichtet und von Palisaden umzäunt, ein schlichter normannischer Burgfried. Solche Burgen waren bereits in Warwick, York, Sarum und zahlreichen anderen englischen Boroughs entstanden. Für London gab es nun ehrgeizigere Pläne: eine massive Burg aus Stein, nicht aus Holz, die den Londonern die nüchterne Botschaft vermitteln sollte, daß König Wilhelm der neue Herr im Lande war.
    Es war ein heißer Vormittag im August. Die Arbeiter schwärmten wie Ameisen auf der Baustelle am Fluß herum. Ralph Silversleeves stand mit einer Peitsche in der Hand herum. Ein junger Arbeiter blickte hoffnungsvoll zu ihm auf und streckte ihm ein kleines Ding entgegen. »Das hast du gemacht?«
    Der junge Bursche nickte. Silversleeves starrte das Ding nachdenklich an. Es war zweifellos bemerkenswert. Dann blickte er wieder auf den Jungen. Es erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung, daß das Leben des Burschen völlig in seiner Hand lag.
    Die Eroberung hatte Ralph viel Gutes gebracht. Sein Leben lang war er in seiner Familie der Dummkopf gewesen. Zwar würde er eines Tages die Hälfte des väterlichen Vermögens erben, doch das Familiengeschäft sollte sein schlauer Bruder Henri übernehmen. Er bewunderte Henri und wünschte sich stets, er könne so sein wie dieser. Er war nutzlos, und die Leute lachten über ihn.
    Mit der Ankunft König Wilhelms hatte sich sein Leben verändert. Sein Vater hatte ihm eine Stellung bei einem so bedeutenden Mann wie Geoffrey de Mandeville, dem unmittelbaren Repräsentanten des Königs in

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