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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seiner zerschnittenen Nase taugte als Hilfsarbeiter wahrlich nicht sehr viel. »Du denkst also, du könntest ein Zimmerer werden?« fragte Ralph.
    »O ja, Sir. Mein älterer Bruder ist ein ausgezeichneter Handwerker. Sicher würde auch ich einer werden.«
    Da huschte ein merkwürdiges Zucken, fast ein Ausdruck von Schmerz, über das Gesicht des Aufsehers. Armer Osric. Er konnte natürlich nicht wissen, daß er einen sehr wunden Punkt getroffen hatte. Wenn ich niemals darauf hoffen kann, es meinem klugen älteren Bruder gleichzutun, dachte Ralph, warum sollte dann dieser elende kleine Kerl hoffen, es seinem gleichzutun? Mit grimmigem Vergnügen sprach der großnasige Normanne sein Urteil aus: »Dein Bruder ist ein Zimmerer, Osric. Aber du bist nur ein Lasttier, mein Freund, und das sollst du auch bleiben!« Und scheinbar völlig grundlos versetzte er dem armen Jungen noch einen Peitschenhieb mitten ins Gesicht, bevor er ihn zurück zu seiner Arbeit schickte.
    Die zwei Männer saßen sich gegenüber an einem Tisch. Eine Zeitlang sprach keiner der beiden ein Wort; beide dachten über die Gefährlichkeit ihres Tuns nach, und jeder der beiden hätte auch sagen können: »Wenn sie uns erwischen, töten sie uns.«
    Barnikel hatte dieses Treffen in seinem Haus nahe der kleinen Kirche All Hallows, die über dem nun wachsenden Tower stand, anberaumt. Zum erstenmal in den zehn Jahren ihres subversiven Tuns mußte er zugeben, daß er sich Sorgen machte. Er hatte sein Problem erklärt, für das Alfred ihm gerade eine Lösung angeboten hatte.
    Wenn Alfred, der Waffenschmied, darüber nachdachte, erstaunte es ihn immer wieder, wie leicht er sich in die Sache hatte verwickeln lassen. Vor zehn Jahren hatte alles angefangen, in dem Sommer, in dem überraschend Barnikels Frau gestorben war. Barnikels sämtliche Freunde und Angehörige hatten sich eingestellt und ihm abwechselnd Gesellschaft geleistet. Seine Kinder hatten auch den jungen Lehrling dazu ermuntert. Dann hatte der Däne eines Abends seinen riesigen Arm um Alfreds Schultern gelegt und in sein Ohr geflüstert: »Würdest du mir einen kleinen Gefallen tun? Aber es könnte auch gefährlich sein.« Alfred hatte kaum darüber nachgedacht. Schließlich stand er bei dem Dänen in einer großen Schuld. »Natürlich«, hatte er rasch erwidert. »Dein Meister, der Waffenschmied, wird dir erklären, was du zu tun hast«, hatte Barnikel gesagt.
    Die Lage war damals oft sehr angespannt. König Wilhelm war sich seines Landes keinesfalls sicher. Mandeville in London war nervös und verhängte häufig Ausgangssperren. Die Waffenschmiede hatte viel zu tun, um den Bedürfhissen der normannischen Garnison nachzukommen. Oft, nachdem das Einläuten der Ausgangssperre das Ende der Arbeit verkündet hatte, schufteten Alfred und sein Meister alleine weiter.
    Eines Herbstabends hatte der Meister zu Alfred gesagt: »Ich habe noch etwas zu erledigen, und zwar für Barnikel. Aber du mußt nicht bleiben.«
    Alfred hatte verstanden. »Ich bleibe«, hatte er nur gesagt.
    Nach dieser schicksalsträchtigen Nacht blieben der Meister und sein Lehrling oft noch bis spät in die Nacht in der Werkstatt. Da ihre Arbeit nach außen hin für Mandeville bestimmt war, schöpfte niemand Verdacht. Dennoch waren sie vorsichtig, verriegelten stets die Tür und hatten ihre offiziellen Aufträge immer griffbereit, so daß sie die illegalen Waffen rasch verstecken und sich die regulären vornehmen konnten, falls sie jemals bei ihrem Tun ertappt würden.
    Für Alfred war es eine wunderbare Möglichkeit, seine Fertigkeiten zu vervollkommnen. Es gab inzwischen kaum noch etwas, was er nicht konnte. Helme, Schwerter, Schilde und Speerköpfe stellte er dutzendweise her. Nur eines fragte er sich immer wieder, wenn der Meister und er die Waffen, die sie angefertigt hatten, unter dem Fußboden versteckten. Für wen waren diese Waffen eigentlich bestimmt?
    Eines Nachts kam Barnikel mit einem Packpferd und nahm die Waffen mit. Bald darauf brach ein großer Aufstand im Norden und Osten Britanniens aus, die Dänen kamen zur Unterstützung, und in Ostanglien führte ein wackerer englischer Adliger, der Than Hereward, eine Revolte an. König Wilhelm schlug die Aufstände erbarmungslos nieder und verwüstete einen Großteil des Nordens. Vier Jahre später versuchten es die Dänen eine weiteres Mal, und in diesem Jahr hatte auch der Sohn Wilhelms mit Aufständischen in der Normandie zu kämpfen.
    Alfred bemerkte, daß die Forderung nach

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