Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Waffen nie zu dem Zeitpunkt, in dem der Aufstand ausbrach, sondern viele Monate vorher eintraf. Doch dies hätte ihn nicht zu überraschen brauchen. Das weitverzweigte nordische Netzwerk – die Wikingersiedlungen, verbunden durch Handelswege von der Arktis bis zum Mittelmeer – war nach wie vor sehr aktiv. Hinter der Themsemündung lagen die vielbesegelten nördlichen Gewässer, und es verging kaum ein Monat, in dem nicht eine neue geflüsterte Botschaft über das Meer weitergereicht wurde. Der Wikingerhändler Barnikel war nach wie vor stets bestens informiert.
    In den letzten drei Monaten hatten sie Speere, Schwerter und eine riesige Anzahl von Pfeilspitzen angefertigt. Für wen waren sie bestimmt? Trieb sich der Than Hereward noch immer in den Wäldern herum, wie viele glaubten? Rüsteten die Norweger gerade ihre Langschiffe? Niemand wußte Genaueres, aber der König errichtete seinen Tower nun aus Stein, und Mandeville, so sagten die Leute, hatte Spione in allen Ecken der Stadt. Niemand verdächtigte den Waffenschmied, aber natürlich machte sich Barnikel diesmal doch große Sorgen.
    Alfred war inzwischen selbst Meisterschmied und sollte demnächst in die Fußstapfen seines alten Meisters treten. Vor vier Jahren hatte er geheiratet, und nun waren schon drei Kinder da. Er mußte vorsichtig sein. Falls Barnikel recht hatte, falls König Wilhelm tatsächlich bei einem Aufstand vertrieben und vielleicht sogar durch einen dänischen König ersetzt werden würde, dann würde ihre heimliche Arbeit zweifellos bestens belohnt werden. Aber falls er nicht recht hatte…
    »Das Problem sind die Packpferde. Es gibt zu viele Spione. Wir brauchen ein anderes Transportmittel«, erklärte Barnikel.
    An dieser Stelle hatte Alfred seinen Vorschlag geäußert. Der Däne hatte darüber nachgedacht, und nun nickte er. »Das könnte funktionieren«, meinte er. »Aber wir brauchen einen guten, vertrauenswürdigen Zimmerer.«
    Zwei Tage später ging Hilda an einem stillen Sommerabend den Hügel von St. Paul's hinab und durch das Ludgate hindurch aus der Stadt hinaus.
    Der Tower war nicht die einzige neue Burg des Eroberers in London. Hier an der Westseite der Stadt wurden ebenfalls zwei neue, wenn auch kleinere Festungen neben dem Tor, das dem Fluß am nächsten war, errichtet. Ihr düsteres Aussehen beeinträchtigte Hildas Stimmung nicht. Sie lächelte, denn sie war unterwegs zu ihrem Geliebten.
    Zum Glück hatte sie ihren Mann nie geliebt. Deshalb war sie nicht weiter enttäuscht gewesen, sie hatte ihn immer als das gesehen, was er war. Henri Silversleeves war klug, und er arbeitete schwer. Es mochte ihm zwar das strategische Geschick seines Vaters abgehen, doch er war ein Meister darin, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu tun. Er verachtete Ralph, obwohl er es gelernt hatte, ihm gegenüber höflich zu sein. »Ich sehe nicht ein, warum Vater darauf besteht, daß er die Hälfte des Familienbesitzes erbt«, hatte er einmal zu seiner Frau bemerkt. »Gott sei Dank hat er wenigstens keine Kinder.« Hilda wußte, daß Henris ganze Leidenschaft dem Vermögen der Silversleeves galt. Und er handhabte das Geschäft so meisterhaft, daß sein Vater inzwischen häufig auf seinem Landgut etwa eine Tagesreise nördlich von London nahe Hatefield weilte.
    Für Hildas Familie hatte die Heirat ihren Zweck erfüllt. Als der Eroberer die meisten Güter in Kent beschlagnahmte, verlor Leofric zwar Bocton, doch dank Silversleeves war er immerhin schuldenfrei und hatte ein solides Vermögen ansammeln können, das in die Hände ihres Bruders Edward übergehen würde. Ja, dachte sie, sie hatte richtig gehandelt. Sie lebte in einem herrlichen Steinhaus in der Nähe von St. Paul's. Sie hatte Henri bereits zwei Kinder geschenkt, einen Jungen und ein Mädchen. Er war ein aufmerksamer Vater und Ehemann. Er hätte sogar ein ausgezeichneter Ehemann sein können, wenn nicht sein Herz aus Stein gewesen wäre.
    »Du hast wirklich eine hervorragende Stellung«, hatte Leofric zu ihr gesagt. Und das stimmte auch. Sie hatte sogar den König kennengelernt, denn die Familie Silversleeves war mehrmals in die Halle des Königs in Westminster eingeladen worden, wo er an Pfingsten hofhielt. Der beleibte, vitale König Wilhelm mit seinem großen Schnauzbart und seinen durchdringenden Augen hatte sie in Französisch angesprochen, was sie inzwischen dank ihres Gatten ganz ordentlich beherrschte, und war so erfreut über ihre Antworten, daß er sich an seinen gesamten Hof

Weitere Kostenlose Bücher