London
Hälfte umfaßte eine große Halle. Die rechte Seite war zweigeteilt: Die hinteren zwei Drittel des Raums sollten einen langen, rechteckigen Saal bilden, das vordere Drittel würde einen kleineren Saal ergeben. In dieser Ecke sollte auch die Kapelle stehen.
Gundulf, ein berühmter normannischer Mönch und Architekt, der vor kurzem nach England gekommen und im nahen Kent zum Bischof von Rochester gekürt worden war, hatte die Oberaufsicht über dieses stattliche Projekt. Er hatte sich auf dem europäischen Kontinent ein umfangreiches Wissen über den Burgenbau angeeignet, und König Wilhelm hatte ihm bereits mehrere andere Projekte übertragen. Der große Tower von London hatte ein nahezu identisches Gegenstück in Essex in der Ortschaft Colchester.
Im untersten Stockwerk sollten die Keller liegen; an der dem Fluß zugewandten Seite des Gebäudes lag dieses Geschoß mehr oder weniger ebenerdig, doch da der Boden leicht anstieg, lag es an der hinteren Wand nahezu völlig unter der Erde. Die Steine wurden in verschiedenen Lagen gesetzt: Zuerst kam der Kieselsandstein aus Kent, dann eine Schicht Kiesel zur Verstärkung, dann wieder Kieselsandstein. Alles wurde mit Mörtel verbunden. Die alten römischen Ziegel aus der Umgebung wurden herangeschafft, und Osric mußte mit den anderen diese Scherben zu Pulver zermahlen, um daraus den Mörtel herzustellen. Mit diesen römischen Ziegeln verlieh der Mörtel der Mauer einen rötlichen Schimmer, und einer der Arbeiter bemerkte grimmig: »Seht mal, der Tower wird mit englischem Blut errichtet!«
Als die Kellerwände immer höher wurden, fiel Osric auf, daß man zwar von einem großen Raum in den nächsten gelangen konnte, es jedoch kein Tor in der Außenmauer gab. In den Keller gelangte man nur über eine einzige Wendeltreppe, die in einem Erker in der nordöstlichen Ecke lag. Und es gab auch nur zwei Fenster, zwei sehr schmale, sichelförmige Schlitze oben in der Westmauer, aus denen kein Mensch würde herein- noch herausklettern können.
Im Boden des Hauptraums gab es ein großes Loch. Da Osric einer der kleinsten unter den Arbeitern war, hatte Ralph ihn auserkoren, in dieses Loch hineinzuklettern und es zu vertiefen. »Grabe, bis du auf Wasser stößt!« hatte er befohlen. Die Burg des Königs brauchte natürlich eine eigene, sichere Wasserstelle innerhalb ihrer mächtigen Mauern. Tag für Tag wurde Osric, ausgerüstet mit Pickel und Schaufel, in das Loch abgeseilt; das Erdreich, das er ausgrub, wurde mit einem Eimer an die Oberfläche befördert. Endlich stieß er auf Wasser. Der Brunnen war zwölf Meter tief.
Dann fiel Ralph eine neue Schikane ein. »Osric, weil du so gut Löcher graben kannst, habe ich noch etwas für dich zu tun«, meinte er. »Der Tunnel, das ist der richtige Ort für dich.«
Jedes große, befestigte Gebäude mußte natürlich auch einen Abfluß haben. Der Tunnel begann in einer Ecke unterhalb eines Lochs im Boden unweit des Brunnens und sollte unter der Erde etwa fünfzig Meter weit sanft nach unten abfallen, bis er die Themse erreichte. Bei Ebbe würde dieser Abfluß einigermaßen trocken sein, bei Flut würde das Wasser der Themse den Abfluß überschwemmen und ausspülen. Es war ein niedriger, enger Raum, gerade groß genug, daß ein paar kleine Burschen wie Osric gebückt ihre Pickel einsetzen konnten. Jeden Tag stieg er nach unten und schaufelte stundenlang Erde in bereitgestellte Säcke, die, sobald sie voll waren, durch den Tunnel hindurch an die Oberfläche gezerrt wurden. Zimmerer klemmten Stützbalken ein, um die Decke am Einsturz zu hindern. Osric kam sich vor wie ein Maulwurf unter der Erde, und sein Rücken schmerzte unablässig. Nach einer Woche im Tunnel machte er einen zweiten Vorstoß Richtung Freiheit.
Bischof Gundulf von Rochester war ein großer Mann mit einer Glatze und einem fleischigen Gesicht. Seinen Körper wie auch seine Art zu reden hätten am besten als abgerundet beschrieben werden können, aber er bewegte sich flott, was auf seinen raschen Verstand hinwies, der ihn zu einem ausgezeichneten Verwalter machte. Falls er an diesem Spätnachmittag im August Unwillen verspürte, wie er da so vor dem dümmlichen Aufseher stand, so zeigte sich nichts davon auf seinem Gesicht. Er hatte eben den Plan des Londoner Towers geändert.
Ralph Silversleeves konnte es kaum fassen. Konnte es denn wahr sein, daß der fette Bischof diese immense Steinmasse entfernt haben und von vorn anfangen wollte?
Die Änderung hatte einen einfachen
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