Lonely Planet Reiseführer Berlin
frühen Jahre des Deutschen Reichs, die sogenannte Gründerzeit, waren von einem enormen Wirtschaftswachstum geprägt, gespeist vom ständigen Zufluss französischer Reparationszahlungen. Hunderttausende Menschen strömten auf der Suche nach Arbeit in den Fabriken nach Berlin. Die Wohnraumnot wurde durch den Bau von verschachtelten Mietskasernen gelöst, in denen ganze Familien in winzigen und schlecht belüfteten Wohnungen ohne sanitäre Anlagen im Haus ihr Dasein fristeten.
Neue politische Parteien verliehen dem Proletariat eine Stimme, allen voran die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), die Vorläuferin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Die 1875 gegründete SAP erhielt nur zwei Jahre später 40 % der Berliner Stimmen. Bismarck versuchte, die Partei in die Illegalität zu drängen. Aber unter dem Druck der wachsenden und zunehmend feindseligen sozialistischen Bewegung erließ er schließlich die ersten modernen Sozialreformen, obwohl ihm das gegen den Strich ging. Als Wilhelm II. (reg. 1888–1918) an die Macht kam, wollte er die Sozialreformen erweitern, während Bismarck strengere antisozialistische Gesetze anstrebte. Im März 1890 schließlich entließ der Kaiser den widerspenstigen Kanzler, der daraufhin von der politischen Bühne verschwand. Nichtsdestotrotz schritt dank der Bismarckschen Diplomatie schließlich ein reiches, vereintes und industriell starkes Deutschland in das neue Jahrhundert.
BERLINER STATISTIK
Die Website des Statistischen Landesamts Berlin ( www.statistik-berlin-brandenburg.de ) hält zahlreiche Daten und Fakten über Berlin bereit.
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ERSTER WELTKRIEG & NOVEMBERREVOLUTION
Am 28. Juni 1914 löste die Ermordung des österreichischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinand, eine politische Kettenreaktion aus, die in den Ersten Weltkrieg mündete. Es sollte der blutigste europäische Konflikt seit dem Dreißigjährigen Krieg werden. In Berlin und anderen Städten wichen die anfängliche Euphorie und der Glaube an einen schnellen Sieg schon bald blankem Entsetzen. In den Schützengräben stapelten sich die Toten und in der Heimat regierte der Hunger. Mit dem Ende des Kriegs und der Niederlage Deutschlands 1918 herrschte zwar wieder Frieden, aber es begann eine Zeit des Aufruhrs und der Gewalt.
Am 9. November 1918 dankte Kaiser Wilhelm II. ab – ein ziemlich unrühmliches Ende für die deutsche Monarchie und die 500-jährige Herrschaft der Hohenzollern. Die Regierungsgeschäfte übernahm die größte Partei im Reichstag, die SPD unter Führung von Friedrich Ebert. Doch so einfach waren die Machtverhältnisse nicht: Kurz nach der Abdankung des Kaisers trat das prominente SPD-Mitglied Philipp Scheidemann an ein Fenster des Reichstags und verkündete die deutsche Republik; nur zwei Stunden später rief der Spartakist Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Schlosses Unter den Linden eine sozialistische Republik aus. Der Kampf um die Macht war voll entbrannt.
Die Vision des Spartakusbundes, von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründet, war ein marxistischer Staat. Ende 1918 schloss sich der Spartakusbund mit weiteren linksradikalen Gruppen zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zusammen. Das Ziel der SPD war dagegen die Gründung einer parlamentarischen Demokratie.
Die Anhänger von SPD und Spartakusbund trugen ihre Rivalität auf der Straße aus. Höhepunkt war der Spartakusaufstand Anfang Januar 1919. Auf Befehl von Ebert schlugen die Regierungstruppen den Aufstand schnell nieder. Liebknecht und Luxemburg wurden verhaftet und auf dem Weg ins Gefängnis von rechtsgerichteten Freikorpssoldaten ermordet; ihre Leichen wurden in den Landwehrkanal geworfen.
SIEGESSÄULE
Die Siegessäule im Tiergarten spielte eine Hauptrolle in Wim Wenders Film Der Himmel über Berlin und im Musikvideo Stay von U2. Sie war auch Inspiration für Paul van Dyks Trancehit For an Angel von 1998 und verhalf dem größten Schwulenmagazin Berlins zu seinem Namen. 2008 diente sie als Hintergrund für Barack Obamas Rede.
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DIE WEIMARER REPUBLIK
Die Nationalversammlung war vor dem Chaos aus Berlin geflohen und hatte in Weimar Zuflucht gefunden. Dort verabschiedete sie im Juli 1919 die föderalistische Verfassung der jungen Republik. Es war die erste demokratische Verfassung Deutschlands, die auch wirklich praktiziert wurde. Frauen erhielten das Wahlrecht und grundlegende Menschenrechte wurden verankert. Schwachpunkt der
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