Long Dark Night
fanden sie die Mordwaffe.
3
Der Revolver, den sie aus dem Gully fischten, war auf einen Mann namens Rodney Pratt zugelassen, der auf dem Antrag für die Ausstellung eines Waffenscheins seinen Beruf mit »Sicherheitsbegleiter« angegeben hatte. Als Begründung dafür, eine Waffe tragen zu müssen, hatte er in schönstem Behördenchinesisch ausgeführt, es sei sein Beruf, »Personen, die seine Dienste in Anspruch nahmen, den Schutz ihrer Privatsphäre, ihres Eigentums und ihres körperlichen Wohlergehens zu gewähren«. Das hielten sie für die politisch korrekte Arbeitsbeschreibung für einen Bodyguard.
In den Vereinigten Staaten von Amerika ist niemand verpflichtet, auf irgendeinem Antragsformular seine Rasse, Hautfarbe oder sein Glaubensbekenntnis anzugeben. Sie konnten nicht wissen, daß Rodney Pratt ein Schwarzer war, bis er ihnen um fünf Minuten nach drei an diesem Morgen die Tür öffnete und sie, mit Boxershorts und einem Unterhemd bekleidet, wütend anfunkelte. Für sie war seine Hautfarbe nicht mehr als ein Zufall der Natur. Wichtig war nur, daß die Ballistiker die Waffe, die auf ihn registriert war, als die identifiziert hatten, aus der an diesem Abend drei tödliche Schüsse abgegeben worden waren.
»Mr. Pratt?« fragte Hawes vorsichtig. »Ja, was ist?« fragte Pratt.
Er mußte nicht sagen: Verdammte Scheiße, es ist drei Uhr morgens, warum schlagt ihr mir nicht gleich die Tür ein? Seine Körperhaltung drückte das aus, das wütende Stirnrunzeln, die funkelnden Augen.
»Dürfen wir hereinkommen, Sir?« fragte Hawes. »Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Was für Fragen?« erwiderte Pratt.
Das »Sir« hatte nichts dazu beigetragen, ihn zu besänftigen. Hier waren zwei weiße Cops, die ihn mitten in der Nacht aus dem Bett holten, und ihr »Sir« war ihm scheißegal, vielen Dank. Er stand da, versperrte ihnen in seinem Tank-Top-Unterhemd und den gestreiften Boxershirts den Weg. Er war mindestens so muskulös wie ein Profiboxer, und Hawes sah nun, daß er eine Tätowierung auf seinem hervortretenden rechten Bizeps hatte: Semper Fidelis. Also ein ehemaliger Marine. Wahrscheinlich ein Sergeant. Hatte wahrscheinlich Kampferfahrung in diesem oder jenem der Kriege gewonnen, die die Vereinigten Staaten unaufhörlich zu führen schienen. Und wahrscheinlich das Blut der getöteten Feinde getrunken. Drei Uhr morgens. Hawes biß die Zähne zusammen.
»Fragen über eine .38er Smith & Wesson, die auf Sie zugelassen ist, Sir.«
»Was ist damit?«
»Sie wurde diese Nacht bei einem Mord benutzt, Sir. Dürfen wir hereinkommen?«
»Kommen Sie rein«, sagte Pratt und trat aus der Türöffnung zurück in das Apartment.
Pratt wohnte in einem Haus an der North Carlton Street, an der Kreuzung St. Helen’s Boulevard, gegenüber vom Mount Davis Park. Es war ein gemischtes Viertel - hier lebten Schwarze, Weiße, Hispanos, ein paar Asiaten -, und die Mieten waren festgelegt. Diese alten Vorkriegswohnungen brüsteten sich hoher Decken, großer Fenster und Parkettböden. In vielen waren die Küchen und Bäder hoffnungslos veraltet. Aber als sie Pratt in ein beleuchtetes Wohnzimmer folgten, sahen sie sofort, daß seine Küche modern war und spiegelblank glänzte. Eine offene Tür ermöglichte einen Blick in ein großes Badezimmer voller Marmor und poliertem Messing. Das Wohnzimmer war mit Teakholzmöbeln und üppigen Stoffen eingerichtet, überall Kissen und Bilder in Chromrahmen an den weißen Wänden. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Klavier, flankiert von Fenstern mit Blick auf den Park.
»Setzen Sie sich«, sagte Pratt und ging hinaus. Hawes sah Carella an. Carella zuckte lediglich mit den Achseln. Er stand an den Fenstern und sah auf den Park vier Stockwerke unter ihm hinab. Zu dieser Nachtstunde kam er ihm geisterhaft vor. Die Lampen warfen einen unheimlichen Schein auf die leeren, gewundenen Wege.
Pratt war schnell zurück. Nun trug er einen blauen Bademantel über seiner Unterwäsche. Er schien aus Kaschmir zu sein. Der Bademantel und die Wohnungseinrichtung legten den Eindruck nahe, daß das Geschäft des »Sicherheitsbegleiters« sich heutzutage gut bezahlt machte. Hawes fragte sich, ob er sich bei Pratt um einen Job bewerben sollte. Statt dessen sagte er: »Diese Waffe, Mr. Pratt…«
»Sie wurde mir letzte Woche gestohlen«, sagte Pratt.
Sie hatten natürlich schon alles gesehen und gehört, und den Spruch hatten sie wahrscheinlich schon zehntausendvierhundertunddreizehn Mal
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