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Long Dark Night

Long Dark Night

Titel: Long Dark Night Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed McBain
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weiter Schüsse gehört hatte.
    »Sollten wir sonst noch was wissen?« fragte Hawes.
    »Bei der Schädeluntersuchung fand ich ein Schwannom am Vestibularisnerv, dicht am Poms acusticus, das sich sowohl bis zum inneren Gehörgang erstreckt als auch zum…«
    »Kein Fachchinesisch, bitte«, sagte Carella.
    »Ein Akustikusneurinom…«
    »Jetzt hören Sie aber auf, Paul.«
    »Kurz gesagt, ein Tumor am Gehörnerv. Ziemlich groß und zystisch. Wahrscheinlich hat er zu Gehörverlust geführt, zu Kopfschmerzen, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, unsicherem Gang und Tinnitus.«
    »Tinnitus?«
    »Ohrensausen.«
    »Ach so.«
    »Bei der Flüssigkeitschromotographie des geronnenen Blutes stieß ich auf ein Medikament namens Diclofenac, und zwar in einer Konzentration, die auf eine therapeutische Dosis hinweist. Aber Medikamente werden in verschiedenen Dosierungen verabreicht, und so ohne weiteres kann man aus der jeweiligen Konzentration keine Rückschlüsse ziehen. Mit Sicherheit kann ich lediglich sagen, daß sie das Medikament genommen hat, aber nicht, warum.«
    »Was glauben Sie denn, warum sie es genommen hat?«
    »Tja, bei einer Obduktion untersuchen wir die Gelenke normalerweise nicht, und das habe ich in diesem Fall auch nicht getan. Aber ein flüchtiger Blick auf ihre Finger verrät schon, was eine genaue Untersuchung wohl ergeben würde.«
    »Und das wäre?«
    »Exkreszenzen an den vorderen sichtbaren Teilen.«
    »Was sind Exkreszenzen?«
    »Knotige, unebene kleine Knochenwucherungen. Kurz gesagt weiche, asymmetrische Anschwellungen im Wirbelkörper.«
    »Und worauf läßt das schließen?«
    »Arthritis?«
    »Ist das eine Frage?«
    »Wissen Sie, ob sie Arthritis hatte?«
    »Ja. Sie litt darunter.«
    »Na also«, sagte Blaney.
     
    Hawes dachte noch immer über diesen Filmtitel nach. Er fragte Sam Grossman, ob er ihn gesehen habe.
    »Ich geh nicht ins Kino«, sagte Grossman.
    Er trug einen weißen Ärztekittel und stand vor einer Arbeitsfläche, die mit Reagenzgläsern, mit Skalen versehenen Zylindern, Bechergläsern, Spachteln, Pipetten und Kolben übersät war. Das wissenschaftliche Ambiente schien nicht zu Grossman zu passen. Er war ein hochgewachsener, kantiger Mann mit blauen Augen hinter einer Brille mit dunklem Rand und sah eher aus wie ein Farmer aus New England, der sich wegen der Dürre Sorgen macht, aber kaum wie ein das Labor leitender Captain der Polizei.
    Irgendein Schnelldenker in der Abteilung war zweifellos zu dem Schluß gekommen, der Tod einer einst berühmten Konzertpianistin verlange eine Sonderbehandlung, daher die Eile, mit der Svetlanas Leiche und ihre Besitztümer ins Leichenschauhaus beziehungsweise Labor geschickt worden waren. Der Nerzmantel, das Baumwollkleid, der rosa Pullover, die Strumpfhosen aus Baumwolle und die Pantoffeln lagen auf Grossmans Arbeitsfläche, alle sorgfältig eingetütet und etikettiert. An einem anderen Tisch saß eine von Grossmans Assistentinnen, den Kopf über ein Mikroskop gebeugt. Hawes sah zu ihr hinüber. Hätte auch eine Bibliothekarin sein können, dachte er. Manchmal fand er Bibliothekarinnen aufregend.
    »Warum fragen Sie?« sagte Grossman.
    »Weil die Todesursache zwei Kugeln mitten ins Herz waren«, sagte Carella.
    »Aus diesem Grund gab es auch soviel Blut«, sagte Grossman und nickte. »Stammt übrigens alles von ihr. Das Kleid ist ein billiger Baumwollfummel, den man in jedem Woolworth kaufen kann. Die Pantoffel bestehen aus Kunstleder, die hat sie wahrscheinlich auch aus so einem Billigkaufhaus. Aber in dem Pullover ist ein Designeretikett. Und in dem Nerzmantel auch. Alt, aber früher mal ‘ne ziemlich tolle Sache.«
    Genau das hätte man auch über das Opfer sagen können, dachte Carella.
    »Sonst noch was?«
    »Ich hab den Krempel doch gerade erst reingekriegt«, sagte Grossman.
    »Wann also?«
    »Später.«
    »Wann später?«
    »Morgen nachmittag.«
    »Früher.«
    »Ich kann nicht zaubern«, sagte Grossman.
     
    Sie kehrten in die Wohnung zurück.
    Die gelben Klebebänder, die sie als Tatort auswiesen, waren noch nicht entfernt worden. Ein uniformierter Polizist stand auf der obersten Treppenstufe vor der Haustür, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und schaute auf die verlassene Straße hinaus. Es war bitterkalt. Er trug Ohrenschützer und den dicken Uniformmantel, sah aber trotzdem noch unglaublich verfroren aus. Sie wiesen sich aus und gingen nach oben. Vor der Tür von Apartment 3 A schob ein weiterer Cop Wache. Ein Pappschild mit

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