Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
fasziniert zu, wie er auch bei jeder neuen Information begeistert reagierte, die ihm in die Quere kam. Andererseits bestand die Führung aber nicht nur aus Labor- und Bibliotheksbesuchen. Es gab auch Zeiten und Möglichkeiten für Entspannung und Zerstreuung. Persönlicher Essensservice, frei verfügbare Unterhaltung auf Disc und Chip, sogar gelegentliche Live-Shows machten bei den verschiedenen Firmenabteilungen die Runde. Alles, so dachte Flinx, um das Leben unter Tage so erträglich wie möglich zu machen.
»Das ist eigentlich nur ein geringer Ausgleich«, sagte Clarity, »wenn du bedenkst, daß wir den Himmel und die Sonne niemals zu sehen bekommen. Trotzdem gibt Coldstripe sich alle Mühe. Wir haben die größte Forschungsgruppe auf Long Tunnel. Die anderen Gruppen sind noch sehr klein und fangen jetzt erst an. Die meisten betreiben ausschließlich Forschung. Wir sind die einzigen, die sich so weit vorgewagt und ein verkaufsfähiges Produkt geschaffen haben. Das House of Sometra versucht es ebenfalls, aber die haben hier bisher noch keine richtigen Produktionsanlagen. Sobald die Aromawürfel und das Verdidionvlies gemeinsam auf dem Markt auftauchen, wird man endlich aufhören, ahnungslos zu fragen, wo eigentlich Long Tunnel liegt. Der Plan sieht vor, direkt über Thalia Major zu exportieren. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die wirtschaftliche Seite dich sonderlich interessiert.«
»Ich interessiere mich für alles«, entgegnete er ruhig.
Es war faszinierend, ihr im Labor zuzusehen. Wenn sie arbeitete, machte sie eine totale Verwandlung durch. Das Lächeln verschwand, das Lachen wurde gedämpfter, und sie bestand nur noch aus Ernsthaftigkeit und Konzentration, wenn sie versuchte, die genetische Struktur eines neuen Pilzes oder eines Schwefelfressers zu analysieren.
Sie arbeitete nur höchst selten mit der eigentlichen Lebensform. Das überließ sie den Schnittexperten und Untersuchungsinstrumenten. Ihre Arbeit beschränkte sich auf die begrenzte Fläche von zwanzig mal zwanzig Zentimetern des Bildschirms eines Hydroden-Anwendungsdesigners mit einigen Milliarden Megabyte Online-Speicher in einem angehängten Markite-Zylinder. Ohne eine lebendige Zelle zu berühren, nahm sie komplizierte Organismen auseinander, setzte sie nach Wunsch wieder zusammen und ließ in wenigen Stunden ein vollständiges Evolutionsschema durchlaufen. Erst nachdem eine mögliche Neukombination simuliert und eingehend überprüft wurde, folgte die Erprobung in der Realität.
Es war hypnotisierend und beunruhigend zuzuschauen - weil es ihm so leichtfiel, mit den niederen Kreaturen zu empfinden, mit deren genetischen Codes gespielt wurde wie mit Kinderbauklötzen, selbst wenn es nur so simple Lebensformen wie Pilze und Schleimbrocken waren. Weil es ihm so unendlich leichtfiel, sich vorzustellen, wie eine Traube von gesichtslosen Fremden sich über ähnliche Geräte beugte, DNS-Moleküle mit mechanischen Manipulatoren hin und her bewegte, Proteine einsetzte und Gene entnahm. Weil es einfach für ihn war, sich als Endprodukt ihrer leidenschaftslosen und seelenlosen Suche vorzustellen.
Clarity beunruhigte ihn auch noch in anderer Hinsicht. Für jemanden, der erst vor kurzem geschworen hatte, sich nicht weiter mit den Problemen einer frivolen und gleichgültigen Menschheit herumzuschlagen, fühlte er sich übermächtig von der jungen Geningenieurin angezogen. Sie hatte bereits bereitwillig demonstriert, wie sehr sie sich von ihm angezogen fühlte.
Er hatte seine Freude daran, sie im Kreis ihrer Kollegen zu beobachten. Wenn sie arbeitete, war sie nicht mehr die verängstigte, erschöpfte Frau, die er aus dem Ingredschungel gerettet hatte - sie alterte um ein Jahrzehnt an Reife und Selbstvertrauen.
Ihre Beziehung hatte sich zu festigen begonnen. Es war nicht etwa so, daß sie dazu übergegangen war, sich ihm gegenüber kühl zu verhalten, im Gegenteil: sie war in seiner Gegenwart sehr viel entspannter und lockerer als je zuvor. Aber mit der Rückkehr ihrer Selbstsicherheit war eine leichte und willkommene Distanzierung einhergegangen. Wenn er sich ihr näherte, reagierte sie freundlich. Das war in ihren Augen deutlich zu erkennen und zweifelsfrei aus ihrer Stimme herauszuhören. Aber es war ganz einfach so, daß sie und ihr Überleben nicht mehr von ihm abhingen. So war es auch besser, sagte er sich.
Unglücklicherweise standen ihr wachsendes Selbstvertrauen und ihre Selbstsicherheit in umgekehrtem Verhältnis zu seinem
Weitere Kostenlose Bücher