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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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verstehe«, sagte ich. »Du lebst lieber in deiner Hölle als in der der anderen. Jagen dich vielleicht die Bullen?«
    Mein Begleiter wirkte überrascht. »Woher …?«
    »Geraten.«
    »Wenigstens gibt mir Babalon noch eine Stadt«, rechtfertigte sich Sebastian. »Oben existieren ja keine mehr. Städte können manchmal etwas Wundervolles sein.«
    »Solange man sich nicht ständig verstecken muß.«
    »Es ist immer für Abwechslung gesorgt. Babalon ist mannigfaltig, wie die dunklen Flecken in den Seelen der Menschen, die es spielen. Du gabst mir den Regenwald, andere geben mir den Rest der Welt.«
    »Mmh. Klingt ebenso plausibel wie überheblich, ist aber nur eine Lebenslüge. Legst du daher soviel Wert darauf, andere zu begleiten?«
    »Dieser Mordingsda hat mich zu dir geschickt.«
    Ich nickte stumm. »Ja. Vielleicht. Und dir Geschichten von DNA-Scannern und biometrischen Sensoren erzählt.« Ich trat vor Sebastian hin, sah ihn an. Er hielt meinem Blick nicht lange stand. »Sag mal ehrlich: Was ist schiefgelaufen? Der wievielte warst du damals wirklich?«
    Sebastian wandte sich vom Abgrund ab, lief im Kreis herum, schien irgend etwas im Gras zu suchen, das er zertreten konnte. »Ich war der Zweite.« Er sah mich trotzig an, schrie: »Ja, ich war damals erst der Zweite!« Dann gefaßter: »Aber ich wußte es nicht. Ich – ich konnte es nicht wissen!« Er machte eine Pause, ehe er erzählte: »Vor fünfzehn Jahren bestritt ich meinen Lebensunterhalt mit harmlosen, kleinen Einbrüchen. Einmal wurde ich erwischt. Der Kerl tauchte wie ein Gespenst hinter mir auf. Ein Bulle auf Streife, der mich beobachtet hatte. Stand plötzlich im Haus. Ich hatte eine Taschenlampe in der Hand, eine Mezza-Star, du weißt schon, diese massiven Halogenteile. Schlug damit zu. In Panik. Einmal zuviel, glaub ich. Traf den Kerl mit voller Wucht an der Schläfe. Er war sofort tot. Natürlich machten sie Jagd auf mich.
    Fahndungsmaschinerie, verstehst du? Hab mich versteckt, in leerstehenden Kellern, Scheunen, in der Kanalisation. Alles war so echt. Ehe ich begriffen hatte, daß ich nur Babalon erlebte und nicht die Realität, waren zwei Wochen vergangen. Dachte ich zumindest. Zwei Wochen im Spiel, verdammt! Hatte völlig die Orientierung verloren, wußte nicht einmal mehr, in welcher Richtung das Zentrum lag … Mir kam es vor, als hätte ich eine Ewigkeit gebraucht, um es zu erreichen. Aber die Zeit des Spiels war nicht die gleiche, die ich in der Stadt gelebt hatte. Es war nur ein Bruchteil davon, und ich hab’s nicht begriffen. Ich saß da und schaute feige zu, wie fünf meiner nachfolgenden Mitspieler einer nach dem anderen über die Brücke liefen, ohne in die Tiefe zu stürzen, weil ich Angst hatte, ich sei nach jedem, der sie passierte, der Siebte. Als dann endlich einer den Abgang machte, begriff ich, daß ich der Zweite gewesen wäre. Kapierst du! Der Zweite! Ich wäre ein Gewinner gewesen und hatte mich selbst disqualifiziert! Dank des Spiels, dieses gottverfluchten Spiels!«
    Sebastian funkelte mich an, als wäre ich die Personifizierung Babalons und einzig schuld an seinem Unglück.
    »So ist das also«, verstand ich. »Du kannst gar nicht mehr raus, nicht wahr? Selbst wenn du wolltest, du sitzt hier fest. In deiner letzten Dummheit. Nein, Feigheit!« Ich lachte. »Du hast mit dem Spiel dein wahres Trauma erst geboren, kannst es nicht beenden, weil du …«
    »Sei – still!« Sebastian stürzte vorwärts. Ich duckte mich vor seinen zupackenden Händen und rammte ihm meine Faust in die Magengrube. Sebastian gab einen schrillen Laut von sich, eine Mischung aus Bellen und Pfeifen, und sank in sich zusammen. Mit an den Leib gepreßten Armen kniete er im Gras, hustete und schnappte nach Luft.
    »Sorry«, meinte ich lakonisch.
    Sebastian nickte. »Klar«, japste er. »Das kenn’ ich schon. Du – bist nicht der erste …« Er richtete sich auf, ein Speichelfaden hing an seinem Kinn. Sebastian wischte ihn weg, hustete jedoch sofort wieder das Material für zwei neue hervor.
    »Und jetzt mal ehrlich«, forderte ich ihn auf, nachdem er sich erholt hatte, »was suchst du wirklich?«
    »Was denkst du wohl? Absolution! Hol mich hier raus, wenn du wieder oben bist. Bitte!«
    »Du bist also doch nicht so ganz zufrieden«, stellte ich fest.
    »Wenn dieses Spiel zu Ende ist, sind dir die Bullen wieder auf den Fersen, nicht wahr? Da ist die Schicksalswelt eines neuen Spielers beinahe schon wie Urlaub.« Ich wich einen Schritt zurück. Sebastian

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