Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
diesem Abgrund gefördert zu haben. Unter uns leckte ein Fluß gegen die Felswände, der die halbe Schluchtbreite einnahm. Am anderen Ufer befand sich ein sanft ansteigender Sandstrand, der zwanzig Meter vor der gegenüberliegenden Schluchtseite in grasbewachsenen Boden überging. Ein primitives Dorf zog sich am Strand entlang, Hütte neben Hütte an die senkrechte Felswand gekauert wie ängstliche Tiere. Die Behausungen waren um das gesamte Zentrum errichtet worden. Und sie waren bewohnt.
    Hunderte von Menschen hatten sich entlang des Strandes unter der Brücke versammelt und, nachdem ich meinen Kopf über den Abgrund gestreckt hatte, damit begonnen, aufzuspringen und ihre Namen emporzubrüllen. Ich brauchte nicht lange zu rätseln, daß es sich bei diesem jämmerlichen, in verschlissene Babalon-Anzüge gekleideten Haufen dort unten um die restlichen 314 Bewohner der Station handelte. Daß hieß: um die restlichen 313. Sebastian stand ja neben mir.
    »Wie bist du da rausgekommen?« fragte ich ihn verwundert und zugleich ergriffen von dem erbärmlichen Anblick, den die krakeelenden Verlierer Babalons boten.
    »Ich … na ja, ich war nie dort unten«, gestand Sebastian kleinlaut. Er wirkte beschämt.
    »Nicht? Warum lungerst du dann noch hier rum? Geh über die Brücke und gönn’ dir in der ersten Ebene ein Bad!«
    Sebastian schüttelte den Kopf. »Ich habe Babalon verloren. Diese Information ist gespeichert. Die sechs Gewinner meiner Spielrunde sind durch. Nikobal hat mich gelöscht. Ich gehöre hierher.«
    »Unsinn.«
    »Die Brücke würde mich fallenlassen!«
    »Woher willst du das wissen? Du bist doch noch …« Ich musterte ihn sekundenlang. »Warte mal. Du hast es nie probiert, hab ich recht?« Sebastian schwieg. Das Thema schien ihm nicht sonderlich zu behagen. »Du erbärmlicher Feigling hast dich nicht über die Brücke getraut!«
    »Ja, verdammt! Ich hatte Angst, bereits der Siebte zu sein. Ich wollte nicht monatelang, vielleicht jahrelang dort unten vor mich hin vegetieren. Die Brücke identifiziert jeden Spieler anhand seiner Fußabdrücke. Vermutlich mittels biometrischer Sensoren, die im Gestein eingelagert sind und das Profil der Papillarlinien an den Fußsohlen ablesen …«
    Ich blickte verwundert. Sebastian redete einmal mehr, als besäße er ein vollständiges Persönlichkeitsmuster. Wahrscheinlich hatten ihm die Lords nur seine sprühende Phantasie gelassen, gepaart mit dem Know-how eines Softwareherstellers und einer gehörigen Portion Paranoia. Für einen vierjährigen Klon war er mir sehr ähnlich. Ähnlicher zumindest als manch ein Duplikat meiner selbst. Dennoch, zuzutrauen wäre den Lords eine solche Form der Kontrolle.
    »… vielleicht aber auch mittels DNA-Scanner im Brückenboden«, mutmaßte Sebastian weiter. »Beim Berühren bleiben winzige Mengen abgestorbener Zellen der oberen Hautschicht auf ihnen hängen. Die darin enthaltene Erbsubstanz genügt, um den Spieler zu identifizieren. Was denkst du wohl, weshalb alle Spieler barfuß sind? Wahrscheinlich wimmelt es auf der gesamten Insel von solchen Sensoren. Die Brücke ist garantiert gespickt damit, denn sie ist das letzte selektierende Hindernis.«
    »Und wenn du sie in Schuhen überquerst oder dir Blätter um die Füße wickelst?«
    »Komme ich nicht weiter als zwanzig Meter. Wer nicht identifiziert werden kann, den läßt die Brücke ebenfalls fallen.«
    »So? Dreht sie sich dabei auf den Rücken oder fängt sie an zu bocken wie ein wilder Stier?« spottete ich.
    »Nein. Das Gestein gibt einfach unter dir nach. Nach zwanzig Metern ist Schluß. Es gibt kein Halten. Du fällst wie durch Luft, fünfzig Meter hinab in den Fluß.«
    »Klingt ziemlich unangenehm.«
    »Bisher hat es jeder überlebt. Babalon tötet nicht. Irgend etwas ist mit dem Wasser, heißt es. Du brichst dir keinen einzigen Knochen, trägst keine Prellungen davon. Es schmerzt nicht einmal. Soll wie ein Sprung vom Ein-Meter-Brett sein.«
    Ich sah skeptisch zu dem gewaltigen Steinbogen hinüber. »Muß hier oben verdammt einsam für dich sein. Dort unten könntest du dich zumindest mit deinesgleichen austauschen. Eine Frau lieben. Wovon ernährst du dich den lieben langen Tag? Von Wurzeln?«
    »Der Wald ist dein Werk, Stan«, entgegnete Sebastian. »In meiner Welt steht hier eine Stadt. Da gibt’s Restaurants. Und Frauen. Und zwei Millionen Menschen, die mir das Ohr abkauen. Ich bin zufrieden.«
    »Wirklich?«
    Sebastian brummte etwas Unverständliches.
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher