Lord Gamma
kam dann näher. Seine Lippen waren bläulich verfärbt, sein Anzug tropfnaß. Mit leuchtenden, euphorisch geweiteten Augen sah er über die Brücke, deren Zugang wir blockierten.
»Hi«, stieß er atemlos hervor, ohne uns anzusehen. »Was sollte das eben darstellen? Häschen hüpf?« Er grinste schamlos, doch sein Augenmerk galt weiterhin dem Felskegel am anderen Ende des Übergangs. Begierig leckte er sich mit der Zunge über die Lippen, blieb vor uns stehen. Sein Körper roch nach Salzwasser. »Kerl, du gehörst nicht in unsere Runde«, sprach er Sebastian an. »Geh mir aus dem Weg!« Er wollte sich zwischen uns hindurchzwängen, doch ich hielt ihn auf und stieß ihn zurück. »Was soll das, du Spinner?« fuhr er mich an.
»Wir kennen uns doch«, stellte ich fest.
Robert grinste. »Sicher.« Er wurde nervös, schielte an mir vorbei. »Was dagegen, wenn ihr beiden ohne mich weitermacht und den Weg freigebt? Ich hab’s eilig.«
»Was du nicht sagst.« Ich holte aus und drosch ihm die rechte Faust ins Gesicht. Der Blondschopf vollführte eine Pirouette, fiel langgestreckt ins Gras und rührte sich nicht mehr. Unten aus der Schlucht, wo die Menschen sich bei Roberts Erscheinen wieder aufgerafft und zu johlen begonnen hatten, erschollen laute Buh-Rufe. Ich preßte mir die schmerzende Hand gegen den Leib. Robert besaß ein Kinn, so massiv wie ein Ziegelstein.
»Gehört der auch zu deinem Trauma?« fragte Sebastian verdutzt. Er ging zu dem Niedergestreckten und drehte ihn auf den Rücken.
»Ich hab mich lediglich für einen Vorfall am Strand revanchiert«, rechtfertigte ich mich. »Los jetzt! Ich möchte drüben sein, bevor er aufwacht.«
Nach Sebastians magischen zwanzig Metern war der Brückenboden weiterhin massiv, und auch mein Begleiter hockte noch auf meinem Rücken. Sebastian murmelte unverständliche Halbsätze, klammerte sich an mich und schwitzte wie ein Bock. Er war nicht gerade eine leichte Bürde. Ein falscher Schritt, und ich würde stürzen. Das Gestein unter meinen Fußsohlen fühlte sich auch nach weiteren zwanzig Schritten stabil an. Wie es aussah, entschied sich das Programm im Zweifelsfalle für den Gewinner. Ich starrte zu Boden, suchte Sensoren, sah aber nur Granit. Unten aus der Schlucht drang allerlei Lästerliches an unsere Ohren. Erst meine öffentliche Entscheidung für Prill, dann der Kinnhaken für Robert, und jetzt trug ich auch noch vor aller Augen einen Verlierer ins Ziel. Ich führte meinen Klon unermüdlich an die Spitze der stationären Beliebtheits-Skala. Hoffentlich beobachtete uns nicht auch Prill und mißverstand die Aktion als provokante Abfuhr.
»Ich möchte dich daran erinnern, daß die Schickeria in der ersten Ebene diesen Coup auf Großbildmonitoren mitverfolgen kann«, bemerkte Sebastian. »Das ist ein krasser Regelverstoß.«
»Ich glaube nicht, daß sie uns sehen«, keuchte ich. »Wenn Babalon tatsächlich den Kontakt zu mir verloren hat, zeigt es mich auch nicht mehr auf den Monitoren. Ich existiere nicht mehr. Wenn alles gut geht, haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite.«
»O sancta simplicitas …«, kommentierte Sebastian.
Als wir den Scheitel der Brücke erreicht hatten und es wieder bergab ging, war ich davon überzeugt, daß wir das Zentrum erreichen würden. Der Fluß lag hinter uns. Wenn wir jetzt fielen, dann auf den Strand. Heil am anderen Ende der Brücke angelangt, ließ ich Sebastian ins Gras rutschen. Er nahm es mir nicht übel, schien so mit Adrenalin vollgepumpt zu sein, daß er den Aufschlag gar nicht spürte.
Hinter einem schmalen Baumstreifen, den wir mit wenigen Schritten durchquerten, erhob sich eine niedere Hügelkuppe, die von schwarzen Kugeln gekrönt wurde, identisch mit jenen, durch welche die Spieler Babalon betreten hatten. Das Ganze sah aus wie eine futuristische Kultstätte.
»Vier Sphären sind noch offen«, erkannte ich beruhigt.
»Nein, nur noch zwei«, berichtigte mich Sebastian. »Die vier, die du siehst, sind bereits geschlossen.«
»Warte einen Augenblick«, rief ich ihm nach, als er ohne zu zögern auf eine von ihnen zulief. »Es könnte ein wenig ungemütlich werden, wenn wir wieder oben sind. Ich brauche deine Hilfe und eventuell deine Softwarekenntnisse, denn sie werden Prill wahrscheinlich nicht freiwillig für mich heraufholen.«
»Du hast Babalon gewonnen«, widersprach Sebastian. »Du hast ein Anrecht auf sie.«
»Ich fürchte, Nikobal sieht das anders.« Mit wenigen Worten erklärte ich Sebastian
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