Lord Gamma
kroch mit Bettelblick durchs Gras hinter mir her. »Tut mir leid, Kamerad, aber meine Wunschpartnerin steht schon fest.«
Sebastian sank in sich zusammen. »War ja klar«, murmelte er. »Hätte mich auch gewundert, wenn’s anders gewesen wäre.« Er atmete tief durch, sah auf, grinste verunglückt. »Bin wohl oder übel Teil des Spiels geworden. Babalon ist in mir. Ich bin Babalon.«
Ich schüttelte den Kopf, half ihm beim Aufstehen. Dann fiel mir etwas ein, eine spontane Idee: »Hat schon mal jemand versucht, dich hinüberzutragen?«
»Bitte?« stutzte Sebastian.
»Auf die andere Seite. Angenommen, es sind wirklich Sensoren im Gestein installiert. Wenn deine Füße nicht den Boden berühren, kann man dich auch nicht abtasten. Die Brücke erkennt nur mich.«
Eine Weile grübelte mein Begleiter über die Erfolgsaussichten einer solchen Aktion, ehe sich sein Gesicht verfinsterte. »Und wenn die Sensoren zusätzlich das Gewicht kontrollieren?« gab er zu bedenken. »Falls die Steine wirklich mit etwas bestückt sind, das die Fußabdrücke analysiert, dann gibt es vielleicht auch so etwas wie Drucksensoren, die das Gewicht der jeweiligen Person kontrollieren, nachdem sie identifiziert wurde.«
Sebastian konnte recht haben. Das Programm geriet allerdings in eine Konfliktsituation. Einerseits gehörte ich zu den ersten sechs, die die Brücke überquerten, und es mußte mich passieren lassen. Andererseits war ich zu schwer, um tatsächlich Stan zu sein. Wie würde sich das Programm verhalten?
»Sagtest du nicht, du hättest damals eine Softwarefirma geleitet?« fragte ich.
Sebastian nickte.
»Auch für Computerspiele? VR-Software?«
»Äh, ja …«
»Dann sag mir: Ist Babalon ein eigenständiges Programm, oder wird es zusätzlich aus der ersten Ebene gesteuert?«
Sebastian atmete tief durch.
»Komm schon«, drängte ich. »Vertraue deinem Sachverstand. Kaum einer kennt das Wesen und den Ablauf Babalons mittlerweile besser als du.«
»Ich – würde sagen, es ist ein eigenständiges Programm.«
»Na also. Dann schlage ich vor, wir probieren es aus.«
»Was?«
»Ich trage dich hinüber.«
Mein Begleiter wurde bleich. »Wir werden beide fallen! Das Leben dort unten im Dorf ist die Hölle!«
Ich zuckte mit den Schultern, lief vor zur Klippe und betrachtete die sofort wieder gestikulierenden, rufenden und winkenden Menschen in der Schlucht. Sie scheuten keine Mühen, um auf sich aufmerksam zu machen. Jeder von ihnen brüllte unablässig seinen Namen, bettelte, ich möge ihn auswählen, falls ich Babalon gewinnen würde, versprach mir das Blaue vom Kunsthimmel, sofern ich ihn oder sie erlöste, bot sich mir als Diener in der ersten Ebene an, versprach Treue, Sex, Geld und weitere erstaunliche Dinge, an die ich nicht einmal im Traum zu denken gewagt hätte. Sebastian hatte recht: Es waren in der Tat Verdammte, die dort unten hausten.
Dennoch: Eigentlich ging es ihnen weitaus besser als den Menschen in den Bunkern. Das Wasser war klar, der schmale Strand und Grünstreifen sauber, nur das Dorf wirkte lieblos und kauzig. Ich erkannte kleine Gemüse- und Getreidefelder, und der Fluß, der ständig im Kreis um das Zentrum zu fließen schien, mochte durchaus fischreich sein.
Wie es aussah, hielten die Klone jedoch nicht viel davon, für sich selbst zu sorgen; ohne ständig gefüllte Kühl- und Kleiderschränke und Badezimmer mit Emailtoiletten. Wahrscheinlich fehlten ihnen auch kleine Freuden wie Zigaretten oder Alkohol. Im Grunde war die Schlucht nur ein weiteres Gefängnis. Ein Gehege.
Ich machte mir noch immer Gedanken, ob die zerlumpten Gestalten sich wirklich, physisch, in dieser Ebene aufhielten. Wenn hier über 300 Menschen eine virtuelle Ebene bevölkerten, wo waren dann ihre Körper? Experimentierte Nikobal mit ihnen? Ich schreckte auf, hatte unter all den Schreien Prills Namen herausgehört und versuchte, sie zu erspähen. Ich entdeckte sie etwas weiter rechts, fast unter dem Brückenbogen. Als sich unsere Blicke kreuzten, begann sie aufgeregt zu hüpfen und hob ihre Arme. Vielleicht war es ein Fehler, aber ich winkte zurück.
Prill schlug sich überrascht die Hände vor den Mund, während die brüllende Meute innehielt und ihr Geschrei sich zu einem langgezogenen kollektiven Laut der Enttäuschung wandelte. Flüche brandeten empor, Köpfe wurden geschüttelt, Hände winkten frustriert ab, dann hockten sich alle bis auf Prill auf den Boden und begannen zu palavern.
»Das war gut«, kommentierte
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