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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Sebastian. »Ich liebe das.«
    Ich sah irritiert in die Tiefe. Man begann, Feuerholz aufzuschichten und Essen zu kochen. Seltsam: das Feuer rauchte nicht. Keiner außer Prill verschwendete einen weiteren Blick an uns. »Was haben sie denn?«
    »Gesehen, daß du deine Wahl getroffen hast. Hast du doch, oder? Jetzt warten sie auf den Nächsten. Ein gutes Zeichen. Solange sie warten, haben noch keine sechs die Brücke überquert.« Auch er beobachtete Prill, wie sie sich durch die Trauben der Sitzenden näherte – falls man siebzig Meter Höhenunterschied als Nähe bezeichnen konnte. Dabei sah sie hin und wieder herauf und winkte.
    »Sie freut sich«, sagte Sebastian. »Du bist ihr Messias. Sie weiß, daß sie bald aus dieser Grube rauskommt. Nicht viele wählen so öffentlich wie du. Die meisten tun es erst, wenn sie wieder oben sind, anonym. Könnte nämlich sein, daß es dir ein paar Leute krumm nehmen, wenn du ihnen offen zeigst, daß du sie nicht besonders magst. Genau 312, um alle in Betracht zu ziehen. Dann könntest du Ärger kriegen, falls sie auch mal wieder oben auftauchen; in Bezug auf Babalon, meine ich. Ich nehme an, du weißt, wie das mit den Partnern läuft. Du kannst auch verlieren, ohne aktiv teilzunehmen. Kann also sein, daß wir uns nächsten Monat bereits wiedersehen.« Er grinste unverhohlen. »Reizendes Ding übrigens. Prill würde mir auch gefallen.«
    »Halt die Klappe!«
    »Okay, okay.« Sebastian hob die Hände. »Meinte ja nur …«
    Prills Anblick schmerzte. Ich sah ihre Freude, und doch war es nicht ihre Freude. Was würde ich dafür geben, der wirklichen Prill solch einen Augenblick zu schenken, einen, der real blieb und nicht wieder vom Lauf des Schicksals und dem Projektil einer Browning zerstört wurde. Einen Augenblick, den ich einem Menschen schenken durfte – und keinem Klon!
    Ich verspürte den Wunsch, Nikobal mit der Strahlenwaffe zu sezieren, um herauszufinden, wie ein Lord von innen aussah.
    Prill trug keinen Anzug mehr, sondern ein sackartiges, an der Hüfte zusammengeschnürtes Etwas aus Lumpen und Pflanzenfasern. Diese traurig anzusehenden Existenzen in der Schlucht wirkten wie Klon-Müll, den man in die Babalon-Abfallgrube gekippt und sich selbst überlassen hatte. War Prills Aufenthalt in dieser Tiefe womöglich der Grund, weshalb Gamma nicht in der Lage war, ihren Standort zu bestimmen? War sie der Klon, den ich suchte? Mit zu Fäusten geballten Händen stand ich am Abgrund, starrte auf sie herab. Vielleicht weinte Prill ebenfalls, ich sah es nicht. Sie war zu weit entfernt.
    »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Sebastian. »Du bist doch nicht etwa suizidgefährdet, oder?«
    »Ich sagte, du sollst die Klappe halten!«
    »Okay, okay. Du meine Güte …« Er lief beleidigt in Richtung Brücke davon.
    Ich hob die Hand und winkte Prill mit versteinertem Gesicht. »Bis nachher!« rief ich zu ihr hinab.
    Lautstark gebrüllte Flüche der Schluchtbewohner waren die Antwort. Prill lachte, machte eine entschuldigende Geste und verschwand bald darauf in einer der Hütten. Ich runzelte die Stirn. Mein Kolonie-Ego sollte sich in der Tat warm anziehen.
     
    Ich hatte Sebastian auf den Rücken genommen und war gerade mal zwei Schritte auf die Brücke zugelaufen, als lauter werdendes Gischten und Planschen meine Aufmerksamkeit erregte. Das Geräusch war so irritierend, daß es mich dazu verleitete, mich mit meiner Last noch einmal umzudrehen.
    Niemand war zu sehen. Gleichwohl kam ein Rauschen auf uns zu, als durchquere jemand zügig einen seichten Fluß. Dann schoß ein Arm aus dem Gras, etwa einhundert Meter von uns entfernt. Ein menschlicher Kopf tauchte auf, schnappte nach Luft und versank wieder im Boden. Das Bild war grotesk, und der Ton paßte nicht dazu. Es sah aus, als kraulte der Mann durchs Gras. Schließlich stand er auf, noch immer bis zur Hüfte im Erdreich versunken, und sah zu uns herüber. Mit jedem Schritt, den er näher kam, kämpfte er sich ein Stück mehr aus dem Boden hervor. Zuletzt hastete er wie ein Phantom durch Büsche und Bäume in unsere Richtung.
    »Das ist Robert«, bemerkte Sebastian, »einer deiner Konkurrenten.«
    Ich ließ Sebastian zu Boden. »Wie macht er das?«
    »Unsere Umgebung existiert für ihn noch nicht. Klingt, als hätte er sich soeben ans Ufer eines Sees gekämpft.«
    Robert trug strähniges, schulterlanges, blondes Haar, dazu einen Kinnbart, und sah recht mitgenommen aus. Er hielt kurz inne, wischte sich das feuchte Haar aus dem Gesicht und

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