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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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zu Boden. Es fühlte sich an, als wären wir unter einer Lawine aus Energie begraben und das gesamte Observatorium von einer unnachgiebigen, lähmenden Masse überflutet, die jede Bewegung erstickte. Gennard hatte uns alle an der Nase herumgeführt. Ein Lord blieb auch im dreidimensionalen Raum ein Lord. Tut mir leid, Paranoia, ich habe nicht mehr an dich geglaubt …
    »Ihr hättet das Höhere nicht auf eine niedere Ebene zurückzwingen sollen, Enoe«, rief er. »Im Sublime existieren kein Anfang und kein Ende, kein Vergehen und keine Angst vor dem Unbekannten. Es ist kein Fluch, es ist ein Segen! Das könnt ihr nicht verstehen. Ihr seid nur Körper und auf euer winziges Dasein beschränkt, auf eure Existenz und eure verrinnende Zeit. Ihr kennt es nicht anders.«
    »Ihr wart es!« preßte ich hervor. »Das Advenion ist für das Verschwinden der Erde verantwortlich!«
    »Stan, der Scharfsinnige«, bemerkte Gennard.
    »Warum?« Ich drehte mühsam den Kopf. »Warum den gesamten Planeten? Das ist – gegen die Schöpfung.«
    »Wir sind die Schöpfung!« bestimmte der Lord. »Warum sollte sich die Menschheit mit Sonnenstürmen herumplagen, mit einem leeren Universum und seiner Finsternis, mit Krankheit und Tod und der Unvollkommenheit des Körpers? Wir haben das Sublime erschaffen, das Tor in eine höhere Daseinsebene. Ist es nicht folgerichtig, daß wir dieses Tor durchschreiten und den String-Raum allen zuteil werden lassen? Es existierte nie ein Advenion auf dieser Seite der Realität. Seit der Schöpfung des Sublime agieren wir im String-Raum. Wir hätten euch ein Leben jenseits aller Vorstellungen schenken können. Du und die anderen Passagiere von Flug 929, ihr hättet die Wegbereiter einer neuen Spezies Mensch werden können.«
    »Nach der zerebralen Neustrukturierung.«
    »Wir hätten euch mit dem Sublime harmonisiert, Stan! Bedauerlicherweise ist Projektebene 866 094 vergangen, doch sie beinhaltete nur eine Kolonie von Tausenden. Andere Muster werden eure Funktion übernehmen und den Plan erfüllen. Ihr beiden« – er sah abfällig auf Seetha und mich herab – »hättet niemals mit den Enoe kooperieren dürfen. Die Passagiere des Flugzeugs und ihr seid die einzigen lebenden Menschen jenseits des String-Raumes. Es ist an der Zeit, diesen Fehler zu korrigieren. Man sagt, auch der Tod sei ein Übergang in eine höhere Ebene. Betrachtet ihn als Geschenk -«
    Mein Herz tat einen schmerzhaften Schlag, während Seetha einen erschrockenen Laut von sich gab. Was ich im ersten Augenblick für den Todesstoß des Lords hielt, war die wiederhergestellte Schwerkraft; besser gesagt: ein Vielfaches davon. Die Gravitation, die plötzlich im Observatorium herrschte, war drei- oder viermal so hoch, wie ich sie gewohnt war. Gennard war der einzige, der aufrecht im Raum stand. Seine Knochen hielten der plötzlichen Überbelastung nicht stand. Der Lunide sank in sich zusammen, als wäre er mit seiner Sumo-Figur zehn Meter tief auf massiven Beton gesprungen. Seine Knie brachen mit einem häßlichen Knacken, ließen seinen massigen Körper wie ein Reissack zu Boden stürzen. Ein weiteres Krachen, begleitet von einem erstickten Schrei, der abrupt endete, verkündete das Brechen seines Beckens. Gennard kippte nach hinten weg, prallte mit einem dumpfen Schlag auf den Rücken. Ein letztes durchdringendes Knirschen, vermutlich seine Wirbelsäule, dann lag er stöhnend und nach Luft ringend am Boden. Sein Atem ging rasselnd, die geistige Kraft, die uns zu Boden zwang, erlosch. Er hustete Blut, was auf eine Verletzung seiner Lunge schließen ließ. So, wie er gestürzt war, konnte ich davon ausgehen, daß er weitere innere Verletzungen davongetragen hatte.
    Gamma, der Gennards Unaufmerksamkeit zur Gravitationserhöhung genutzt hatte, normalisierte die Schwerkraft wieder. Er schob sich an der Kuppelwand hoch, den Luniden stets im Auge behaltend. Rothals hingegen rührte sich nicht. Sein Brustkorb war eigenartig deformiert, als seien seine Rippen – falls die Enoe solche besaßen – ins Körperinnere gedrückt worden. Die beiden Hornbrüste, ursprünglich parallel gewachsen, berührten sich nun fast mit den Spitzen. Er war tot, erschlagen von Gennards ungestümer Psychoattacke.
    Ich beugte mich über Seetha, der jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. »Bis du verletzt?« erkundigte ich mich.
    »Mir ist schwindelig …«, antwortete sie.
    Ich half ihr, sich aufzusetzen. »Das kommt von der Schwerkraft. Dein Gehirn wird nicht

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