Lord Gamma
erhielten. Sie läßt sich jedoch nur für wenige Minuten öffnen, in Intervallen von knapp einer Stunde. Es ist sinnvoller, den restlichen Sauerstoff nach dem ersten Transfer aus dem Schiff abzuleiten.«
Gennard schwieg erneut, sah lange hinauf zur Erde. Dann versicherte er: »Mit der technischen Unterstützung der Enoe wird die Zeit für den Transfer ausreichen.«
Rovennah reagierte im ersten Moment nicht, obwohl ich mir sicher war, daß der gesamte Rat Gennards Entscheidung vernommen hatte. Wahrscheinlich führten sie wieder eine telepathische Debatte. Ob auch der Lunide und das Sublime daran beteiligt waren, konnte ich nicht erkennen.
»In Ordnung«, entschied Rovennah schließlich, ohne sich umzudrehen. »Wir werden die Menschen auf den Planeten und gegebenenfalls in ihre Zeitlinien zurücktransferieren und die globale Ausgangssituation des 5. November 2283 wiederherstellen. Ich bitte das Sublime nun, die Zusammenkunft zu beenden. Leben Sie wohl.« Sie gesellte sich zurück in die Reihen der Ratsmitglieder. Zweiundzwanzig Lichtblitze zuckten auf, dann befanden sich nur noch die Morner und wir auf der Plattform, umringt von den über uns schwebenden Draggern.
»Sapienti sat«, sprach Gennard. Er betrachtete das Sublime nachdenklich. Auch ihm war das schwindende Licht, das Prills Körper umfloß, nicht entgangen.
»Es war wundervoll zu existieren, Gennard«, bekannte es. »Vielleicht ist es eine ebenso wundervolle Erfahrung zu sterben. Wir werden diesen Weg gemeinsam gehen. Wer weiß, was uns erwartet? Der Kollapsar verschlingt Licht und Zeit, doch verschlingt er auch Seelen! Millionen von Paragonen werden verloren gehen, aber nicht diese sieben Milliarden Menschen um uns herum. In der Vergangenheit werden sie wieder mit mir verbunden sein.«
»Aber was geschieht mit dem realen Universum, wenn der Transfer beendet ist?« fragte ich. »Wird es je existiert haben? Schließlich waren wir alle ein Teil von ihm.«
»Es werden zwei Universen bestehen. Eines davon ist für euch bestimmt. Blickt niemals zurück, wenn ihr es erreicht.« Das Licht strahlte noch einmal in altem Glanz auf, als Prills Augen sich öffneten und ihre Arme sich mir entgegenstreckten. »Komm, Stan«, sprach sie. »Es ist an der Zeit heimzukehren.«
Epilog
DIE STRASSE IST DIE STRASSE IST DIE STRASSE …
Sie ist allgegenwärtig und allmächtig, ein Zepter, das die Landschaft teilt und erst am Horizont vom Glühen der aufgehenden Sonne verzehrt wird. Die Wüste, die Berge, die flimmernde Atmosphäre, alles ist ein Teil von ihr. Die Straße ist die Welt, das Universum. Ich vermisse sie, sobald ich die Augen schließe. Ich träume von ihr. Es ist ein sanftes, gleichmäßiges Schweben über den Asphalt, immer geradeaus, immer bergab, hinunter ins Licht eines neuen Tages. Ich lasse den Mittelstreifen unter mir hinweggleiten, folge lautlos ihrem Band aus Teer, hinter mir die Dunkelheit einer Nacht, die mich niemals einholen wird.
Und über mir: der Mond.
Wenn ich die Augen zusammenkneife, glaube ich, den Krater Archimedes zu erkennen, einen winzigen Ring im Meer der Regen. Ich sehe ihn nicht wirklich. Allein die Gewißheit, daß er dort oben ist, läßt ihn vor meinem geistigen Auge entstehen.
Seit über einer Stunde stehen wir mit dem Wagen in der Wüste und betrachten den Sonnenaufgang über den Muddy Mountains. Prill liegt quer auf den Vordersitzen, hat ihren Kopf auf meinen Schoß gebettet und ihre nackten Füße über die Beifahrertür aus dem Wagen gestreckt. Ihre rechte Hand ruht auf ihrem Bauch, während sie mit der niedergerauchten Zigarette in der linken ein Muster aus Aschepunkten auf die Windschutzscheibe tupft – eine Unart, die ich ihr endlich abgewöhnen muß. Ich kraule ihren Nacken und versuche vergeblich, in den Flecken auf der Scheibe eine Botschaft oder einen Sinn zu erkennen. Als Prill beginnt, die losen Punkte mit schmierigen Aschestrichen zu verbinden, ziehe ich ihr die Kippe aus den Fingern und werfe sie in den Straßengraben.
Prill grinst und läßt ihre Füße zur Radiomusik wippen.
»Sag nur, der Wagen bedeutet dir tatsächlich etwas«, stichelt sie.
»Er hat mich schließlich fünfzehnhundert Dollar gekostet«, entgegne ich.
»Ich wette, wir schaffen es mit der alten Schleuder nicht einmal bis Chicago.«
»Die Wette gilt.« Und wie ich Prills prophetische Ader kenne, werde ich sie verlieren …
Ich hatte die »alte Schleuder« bei einem Händler in Fontana entdeckt. »Kauf mich, Stan!« hatte der
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