Lord Gamma
unbeeindruckt. »Ich bin kein menschlicher Organismus. Du kannst mich nicht erschießen.«
»Ein Neun-Millimeter-Geschoß«, knurrte ich, »sprengt ein lustiges Loch in deinen Blumentopf. Ich gehe mal davon aus, daß sich dein Nervenzentrum ebenfalls in diesem Eimer befindet. Die erste Kugel verfehlt es vielleicht, aber eine der übrigen siebzehn wohl kaum.«
Die Pflanze schwieg, als wägte sie das Argument ab. Ich hörte Prills flatternden Atem. Das Betäubungsgift schien bereits Wirkung zu zeigen. Ein heulendes Geräusch durchbrach die Stille, und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Der Wächter machte weiterhin keine Anstalten, Prill loszulassen. Sie hing direkt vor ihm in den Ranken. Wenn ich schoß, lief ich Gefahr, sie zu treffen.
»Prill …?« Keine Antwort. »Prill, zum Teufel!« Sie hob den Kopf, ihre Augenlider hingen müde über den Pupillen. »Mach die Beine breit!«
»Was?« fragte sie und sah mich verständnislos an.
»Spreiz die Beine!«
Prill machte eine Grätsche. Im selben Moment geschahen drei Dinge gleichzeitig: Die Fahrstuhltüren öffneten sich und entließen eine vierköpfige Sicherheitseinheit in gelben Plastikanzügen. Das Wesen gab Prill aus seiner Umklammerung frei und ließ sie der Länge nach auf den Steg stürzen. Ein gutes Dutzend stachelbesetzter Ranken peitschte auf mich zu.
Ich ließ mich nach hinten fallen und schoß. Zwei Projektile schlugen in den Blumentopf ein, ein weiteres drang durch das Blätterkleid des Wesens und traf einen der Männer, die aus dem Lift traten, in den Oberschenkel. Das vierte prallte gegen ein Geländer und verschwand als Querschläger in der Dunkelheit. Ich spürte mehrere Fangarme über mich hinwegschwirren. Die Pflanze gab ein schrilles Pfeifen von sich und machte zwei Sprünge nach hinten, während der getroffene Mann aufschrie, sich ans Bein griff und zusammenbrach. Die anderen drei äußerten Laute der Überraschung, warfen sich zu Boden und robbten zurück in den Fahrstuhl. Zwei der Ranken klatschten auf mich, schlangen sich aber nicht fest, sondern zogen sich schlaff zurück. Dennoch hatte ich nicht vermeiden können, daß sich einige der Stachel bei ihrem Auftreffen in mein Fleisch bohrten. Ob mir der Wächter allerdings sein Gift injiziert hatte, wußte ich nicht.
Die Pflanze war sichtlich angeschlagen. Sie hing an der Brüstung, als sei sie einen Monat lang nicht mehr gegossen worden.
»Prill, bist du okay?« fragte ich und leuchtete mit der Lampe in ihre Richtung.
Sie hob den Kopf und wischte sich das Haar aus dem Gesicht. »Glaub schon …«, murmelte sie und sah sich nach dem Wächter um, der sich mit Blättern und Ranken am Geländer abstützte. »Nur so müde. Keine Kraft mehr …«
»Komm hierher zu mir«, rief ich. »Na los, beeil’ dich!«
Wie eine Schildkröte kam sie herangekrochen. Als sie in Greifnähe war, legte ich die Taschenlampe auf die Gitter, schnellte hoch, packte ihren Gürtel und zog sie neben mich, die Waffe unentwegt auf den Wächter und den Fahrstuhl gerichtet.
»Stan, oder wer immer du sein magst!« rief jemand vom Lift herüber. »Hier ist Todd. Mach keinen Unsinn und leg die Waffe weg.«
»Hi, Todd«, rief ich zurück. »Wie geht’s der Nase?«
Aus der Kabine kam eine Verwünschung.
Ich schüttelte Prill, die in einen Dämmerschlaf zu fallen drohte. »Geh zur Tür«, wies ich sie an und leuchtete abwechselnd zu ihr und den vier Männern im Fahrstuhl. Sie krabbelte träge die Stufen zum Ausgang hinauf. Hoffentlich rutschte sie in ihrem Zustand nicht aus und stürzte wieder nach unten. Ich folgte ihr rückwärts von Stufe zu Stufe, um sie zur Not auffangen zu können. »Und jetzt?« fragte sie, als sie den Treppenabsatz erreicht hatte.
»Öffne sie.«
Ich hörte Prill an der Tür herumtasten. »Sie hat keine Klinke«, murmelte sie, »und keinen Griff. Hier ist alles völlig glatt.«
Ich verbiß mir einen Fluch. Gleichzeitig drangen aus der Tiefe klappernde, metallische Geräusche an meine Ohren, die meine Nervosität noch mehr steigerten. Dem Lärm nach zu urteilen mußten es mindestens drei Läufer sein, die die Treppe heraufkamen, wahrscheinlich sogar mehr. Sie hatten unsere Spuren durch die Lüftungsschächte verfolgt. Läufer waren flink. Bis sie den Steg erreicht haben würden, blieb Prill und mir höchstens noch eine Minute.
»Stan«, rief Bryan aus dem Lift, »komm zur Vernunft. Was du vorhast, ist reiner Wahnsinn.«
Ich beachtete ihn nicht, leuchtete hinauf zum Ausgang. Prill saß mit
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