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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Womöglich hatte mir Gamma durch die indirekte Beseitigung des Wächters Prills Entführung erleichtern wollen. Vielleicht verleiteten ihn auch die zunehmenden Enttäuschungen mit den letzten fünfzehn Prill-Klonen und seine steigende Nervosität hinsichtlich des Gelingens seines mysteriösen Plans zu Fehlern. Gammas mangelnde Weitsicht und wachsende Unruhe zeigten jedoch, daß auch er – ob Mensch oder Lord – kein perfektes Wesen war. Was würde er unternehmen, falls ich über die Klippe sprang und seinen Plan zunichte machte? Ließ er mich sterben oder hatte er genug Einfluß auf diese Welt, um es zu verhindern? Besaß er ein Notprogramm, einen Plan B, der anlief, falls ich auf der Strecke blieb?
    Nach weiteren vierzig Kilometern ließ ich den Wagen am Straßenrand ausrollen. Prill war noch immer ohne Bewußtsein. Ich zündete mir eine Zigarette an, lief ein paar Schritte in die Wüste und erleichterte meine Blase. Die Stille war erdrückend. Nicht einmal eine Grille zirpte in der ewigen Abenddämmerung. Das Plätschern meines Harns grenzte fast an Lärmbelästigung. Mein Blick schweifte in die Ferne, zu dem sich endlos dahinziehenden Bergrücken, der sich etwa sechs Kilometer entfernt erhob und parallel zur Straße verlief. Ein nahezu identischer Höhenzug begrenzte die Wüste jenseits der gegenüberliegenden Straßenseite. Er stieg sanft an und war nicht sonderlich hoch, seine Gipfel erhoben sich etwa zweihundert Meter über das Wüstenniveau. Auf den Grat zu gelangen war kein Problem, lediglich eine Sache der Kondition. Ich war einmal oben gewesen, und das Land, das ich auf der anderen Seite der Hügel gesehen hatte, war ebenso entmutigend gewesen wie die Straße und der Blick in den ewigen Sonnenuntergang.
    Eine halbe Stunde verging, ehe Prill endlich die Augen aufschlug und sich erst verschlafen, dann jedoch zunehmend erschrocken umsah.
    »Guten Morgen«, begrüßte ich sie vom Heck des Wagens aus.
    Meine Stimme ließ sie zusammenzucken. Sie sah hinter sich. »Wo sind wir?« nuschelte sie.
    »Irgendwo zwischen dem Nirgendwo und der Ewigkeit.« Ich schloß den Kofferraum, stellte den Tornister, den ich ihm entnommen hatte, auf die Rückbank und stieg zu Prill in den Wagen.
    »Wir sind draußen?«
    »Ja«, bestätigte ich, schaltete wie beiläufig das Radio ein und ließ angenehm leise Musik laufen. Gamma sei bei uns …
    Prill setzte sich auf, befühlte eine Beule an ihrem Kopf und die Schrammen an ihren Armen. Dann betrachtete sie das Abendrot und die Sterne, die zwischen den Wolken am Himmel hingen, ließ ihre Blicke über die Wüste wandern und sah dann in die finstere Nacht hinter uns.
    »Sieht alles so friedlich aus«, meinte sie nach einer Weile. »So ruhig. Ich hatte geglaubt, der Himmel wäre grau, die Luft würde stinken und die Hitze unerträglich sein.« Sie strich durch ihr Haar und über ihre Arme, als könne sie nicht glauben, daß sich noch keine Geschwüre gebildet hatten, die verstrahlte Haut sich nicht in blutigen Fetzen abschälte und ihre Haare noch nicht büschelweise ausfielen.
    »So schnell geht es nicht«, beruhigte ich Prill. »Es würde ein paar Tage oder sogar Wochen dauern, ehe du etwas merkst.«
    »Ich fühle mich nicht gut«, murmelte sie. »Das ist bestimmt die Strahlenkrankheit …«
    »Unsinn, du hast nur Angst.«
    »Hast du einen Schutzanzug dabei?«
    »Natürlich nicht.«
    Prill zog sich die Pulliärmel über die Hände, als könne sie sie auf diese Weise vor Radioaktivität schützen.
    »Prill, hör mir zu«, sagte ich und nahm ihre Hand, als ich sah, wie sie von Sekunde zu Sekunde unruhiger wurde. »Wenn sich alles wirklich so ereignet hätte, wie man es euch weiszumachen versucht, müßtest du doch bereits seit vier Jahren tot sein; als unmittelbare Reaktion deines Körpers auf die Explosion. Sagtest du nicht, um dich herum wäre nur noch Licht gewesen? Niemand hätte im Zentrum eines Atomblitzes auch nur eine Nanosekunde lang überlebt. Selbst wenn du dich nicht im Zentrum aufgehalten haben solltest, hätte dein Körper verdampfen oder zumindest eine tödliche Strahlungsdosis abkriegen müssen. Einen Kilometer entfernt hätten die Strahlen deine Körperzellen zerstört und deren Kerne zur Degeneration gebracht. Wenn du nicht sofort gestorben wärst, nach tagelangem Erbrechen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Fieber wärst du es.
    Angenommen, trotz des Lichts wäre dennoch nichts geschehen, so hätten in jedem Fall zehn bis fünfzehn Tage nach der Explosion –

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