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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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über Funktechnik zu plaudern. Wenn du eine existentielle Frage hast, stell sie. Wenn nicht, lehn dich zurück, schließ die Augen, entspann dich ein wenig bei guter Musik und warte darauf, daß dich Stan hinter den Regenbogen schickt.«
    Prill mußte mehrmals schlucken, ehe sie ihre Stimme wiederfand. »Was bildet sich dieser aufgeblasene Kerl eigentlich ein, wer er ist …?« japste sie empört und sah mich hilfesuchend an. »Gott?«
    »Ein Lord«, entgegnete ich. »Das ist hier in etwa dasselbe.«
    »Ein Lord? Diese misogyne Ratte?«
    I’m a child of folly, don’t need good or bad …, brüllte der Sänger einer Trance-Metal-Combo aus den Boxen. Gamma hatte sich zurückgezogen, ließ wütende Rhythmen über den Äther dröhnen. Prill hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte das Radio an. Ich kniff mir mit Daumen und Mittelfinger in die Augen, schüttelte müde den Kopf und überlegte, was dem Pontiac wohl gerade durch den Sinn gehen mochte. Oder dem Straßenbelag. Oder dem Büffelgras in unserer Nähe. Sagt man Pflanzen nicht auch ein Bewußtsein und ein gewisses Maß an Sensibilität nach? Hallo, Kaktus dort drüben, wieso stehst du so stocksteif da? Bist doch nicht etwa verlegen?
    »Gratuliere«, sagte ich zu Prill, nachdem ich die Musik leiser gedreht hatte. »Das war eine verbale Sternstunde.«
    Prill sprang auf, kletterte aus dem Wagen und lief die Straße hinab. Semper idem. Sie weinte. Ich sah es an ihren zuckenden Schultern. Vielleicht war es das Klügste, sie eine Weile mit sich allein zu lassen. Der Hunger oder der Durst würden sie irgendwann dazu bewegen, wieder zurückzukehren. Ich opferte ein paar Minuten für flüchtige Notizen und Skizzen, schmiß das Buch genervt ins Handschuhfach zurück und langte nach der Zigarettenschachtel. Sie war leer. Aus dem Kofferraum holte ich eine neue, drehte den Fahrersitz zurück und rauchte nachdenklich.
    Ab und zu klappte es mit der Einfühlsamkeit nicht ganz so gut. Prill in dieser Welt zu begegnen bedeutete für mich, in ständigem Widerstreit mit meinen Gefühlen zu liegen. Ich liebte Prill, aber ich verachtete die Klone, alle Klone, obwohl ich wußte, daß sie an ihrer Existenz keine Schuld traf. Man hatte sie aus dem Nichts erschaffen und in diese torsohafte Welt integriert wie organische Bauteile, wie Golems. Teilmenschen, lebende Programme mit unvollkommenem Bewußtsein für ein gigantisches Terrarium. Ein bißchen künstliche Vergangenheit hier, ein wenig Zukunft dort, gerade mal soviel, daß es zum eigenständigen Leben und Denken reichte. Darüber wachten die Beherrscher ihrer Zufriedenheit, ernährten ihr Vieh und stillten die menschlichen Grundbedürfnisse. Unser tägliches Brot gib uns heute für die Klone, und vergib uns unsere Schuld. Gab es eine Religion im Glauben der Lords? Kreierten sie Religion? Hin und wieder verwandelten sich meine Gefühle in Mitleid, wenn ich erkannte, mit welcher Selbstverständlichkeit die Klone ihr Schicksal ertrugen. Die Fähigkeit, ihr Leben und diese Welt aus eigenem Impuls zu hinterfragen, besaßen sie nicht. Die Bunkerwelt war, was sie war.
    Indirekt haßte ich über die Klone die Lords, denn sie waren für diese gottlose Zucht verantwortlich. Ich war mir bewußt, daß ich meine Aversionen auf die Falschen übertrug, aber ich hatte nicht mehr die Kraft, die Unschuldigen von den Schuldigen zu trennen. Vielleicht wollte ich es auch gar nicht. Alles, was ich wollte, waren meine Prill und ein Weg nach Hause, auf die Erde. Diese ganze Scheinwelt mit ihren Klonen und deren Schöpfern konnte von mir aus zur Hölle fahren – und falls ich ein Mittel finden sollte, das mir die Macht dazu verlieh, dann würde ich sie dorthin schicken!
    Das schwor ich mir.

 
Naos 4
     
     
    IN MEINEN ARMEN zittert ein Wesen aus Fleisch und Blut. Es spricht, stammelt, beteuert, eine Seele zu besitzen. Chemische Informationen erschaffen Trugbilder in seinem Kopf, gaukeln ihm vor, Gedanken zu sein. Es denkt, alles um es herum füge ihm Schmerzen zu.
    Ihr Name ist Seetha …
    Dem gleichen eiskalten Uterus entschlüpft wie ich, klammert sie sich frierend und verschreckt an mich wie ein Findelkind. Ich habe die Qualen des Erwachens am eigenen Leib erfahren, weiß, was Seetha in diesen Minuten durchmacht. Die Kälte ist eine Illusion. Ihr Körper ist warm.
    »Bitte, geben Sie mir etwas zu trinken«, flüstert sie irgendwann, als ihr Zittern und die Schmerzen nachgelassen haben. »Ich verdurste.«
    »Tut mir leid, es gibt hier nichts zu

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