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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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die Straße nach Prill ab, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken.
    »Hörst du mich, Stan?« vernahm ich Gammas Stimme. Ich drehte den Lautstärkeregler hoch. »Ja.«
    »Na, endlich …«, kam es beinahe erleichtert aus den Boxen, eine Gefühlsregung, die ich bei einem Lord recht ungewöhnlich fand. »Was ist passiert?«
    »Das fragst du mich?« stutzte ich. »Du bist der Initiator.«
    »Ich hatte dich für einige Minuten verloren. Wo ist Prill?«
    »Ich weiß es nicht«, gestand ich.
    »Du weißt es nicht? Ist sie nicht bei dir?« Gamma klang nun ernsthaft überrascht.
    »Sie ist die Straße hinuntergelaufen«, erzählte ich.
    »Dann schieb den Wagen an und fahr ihr nach!«
    »Sie kommt irgendwann wieder …«
    »Folge ihr, Stan!« drängte Gamma. »Ich brauche die Gewißheit, daß sie keinem Läufer begegnet ist. Sag, hattest du in letzter Zeit schon mal einen Blackout?«
    Ich überlegte, worauf Gamma anspielen mochte. »Ich weiß nicht, was du meinst«, wich ich aus.
    »Einen Filmriß, Stan. Einen narkoleptischen Anfall, einen Schlafkrampf, eine Bewußtseinstrübung, irgend etwas dieser Art.«
    Meine Kehle war trocken geworden. »Ja«, gab ich schließlich zu. Ich beschrieb ihm, was mir nach dem Durchqueren der letzten Zonenbarriere und in Ritas Quartier zugestoßen war.
    »Zu dumm«, meinte Gamma daraufhin. »Ich fürchte, sie haben entdeckt, daß du fehlst. Offenbar versuchen sie, dich zurückzuholen.«
    »Jetzt erst?« wunderte ich mich. »Nach über zwei Monaten?«
    »Das Sublime dient nicht«, sagte Gamma. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, was er damit meinte. Beunruhigt brachte ich den Wagen ins Rollen. Seit heute war ich also auch ein Gejagter.
    Ich fand Prill fast zwei Kilometer weiter auf einem Felsen nahe der Straße. Sie zeigte keine Reaktion, als ich den Wagen hinter ihr zum Stehen brachte. Den Rücken zur Straße gewandt und die Knie bis ans Kinn gezogen, blickte sie hinüber auf die Bergkette und wippte dabei ständig vor und zurück. Selbstmörder legen ein ähnliches Verhalten an den Tag, wenn sie zum Sprung bereit auf Hochhausdächern und Baukränen hocken. Der Felsbrocken, auf dem Prill saß, war jedoch gerade mal kniehoch.
    »Sie ist in Ordnung, keine Läufer weit und breit«, informierte ich Gamma. Er antwortete nicht, sendete aber auch keine Musik. Ich stieg aus dem Wagen und ging hinüber zum Felsen.
    »Verschwinde!« brummte Prill, als sie meine Schritte hinter sich vernahm. Ich setzte mich neben sie. Prill roch nach Schweiß, Wut, Tränen, Enttäuschung.
    »Hier kannst du nicht bleiben«, sagte ich.
    »Hau ab«, gab die Frau zurück. Ihre Stimme klang so karg wie die Landschaft. »Ich finde allein zurück.«
    »Du darfst auch nicht zurück, Prill.«
    Ich fühlte, wie sich ihr Körper spannte, erwartete jede Sekunde einen lautstarken Gefühlsausbruch oder ihre wirbelnden Fäuste auf meiner Brust. Beides blieb aus, scheinbar war Prill zu erschöpft. Statt dessen sagte sie in unterdrückter Wut: »Ich darf hier nicht bleiben, ich darf nicht zurück, aber in der nächsten Zone darf es mich auch nicht geben. Wo willst du denn mit mir hin, nachdem du mich erschossen hast? Kommen dann ein paar Engel herbei und verladen mich auf eine Wolke? Bist du im Namen des Herrn unterwegs?« Sie kicherte albern.
    »Ich kann nicht zulassen, daß dich die Läufer aufgreifen«, sagte ich.
    Prill zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Na und, was macht das schon? Die paralysieren mich mit ihrem Blitzestrahl und schleppen mich nach Hause. Und wenn ich wieder aufwache, bin ich in der Dekontaminationskammer …«
    Ich blies die Backen auf, pustete in den Sand zwischen meinen Füßen. »Es gibt zwei Möglichkeiten: du stehst jetzt auf und steigst freiwillig in den Wagen, oder ich schleife dich an den Haaren dorthin.«
    »Verdammt noch mal, warum knallst du mich denn nicht gleich hier ab?« schrie Prill. »Bring’ es doch hinter dich, du sadistischer Schweinehund!« Sie erhob sich. »Na los, worauf wartest du? Wie tust du es am liebsten? Ins Genick? In die Brust? In den Kopf? Soll ich mich vielleicht hinlegen, damit du mich besser triffst? Oder willst du mich vorher erst noch ficken?«
    Ich sprang auf und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Prills Kopf flog zur Seite. Für Sekunden blieb sie wie versteinert so stehen und besaß tatsächlich noch eine Reserve an Tränen, die ihr nun schimmernd über die Wangen rannen. Sie sah mich stumm an. Wenn Gamma die Wahrheit sagte, ging dieser Augenblick

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